von MariaFichtinger
Ich liebte meine Oma. Sie war eine sehr spezielle Frau. Stark, eigensinnig, extrovertiert, bestimmt, aber auch herzlich. Ich saĂ oft bei ihr und habe mir ihre Geschichten angehört. Meine Oma war ein NachzĂŒgler, alle ihre Geschwister waren viel Ă€lter als sie. Oft hat sie mir die Geschichte ihres Bruders erzĂ€hlt.
Die Familie meiner Oma war eine Arbeiterfamilie. Alle Kinder mussten nach der Volksschule arbeiten gehen, meine Oma hat bei einem Bauern am Feld mitgearbeitet, gesĂ€ht, gepflegt, geerntet. Ihre beiden BrĂŒder waren Arbeiter, was sie genau gemacht haben hat sie mir nie erzĂ€hlt. Mein Uropa wurde im ersten Weltkrieg verwundet und bekam eine kleine Rente, die er sich mit Gelegeheitsjobs aufbesserte. Die Arbeitslosigkeit, auch bei uns im kleinen Ort war groĂ, die Not nochgröĂer. Edmund, einer ihrer BrĂŒder war lange Zeit schon arbeitslos. Er hattte ein Kind, einen kleinen Jungen. Die kleine Familie hatte kein Geld und nichts zu Essen, deshalb gaben sie dem Kleinkind viel MĂŒll zu essen, wie verschimmeltes, aber auch Zeitungspapier. So wie bei vielen in dieser Zeit war der Ărger groĂ. Irgendjemand musste Schuld an der schlimmen Lage sein. Statt die Schuld bei der Politik beziehungsweise der Finanzkrise zu suchen musste ein direkter SĂŒndenbock her. Da traf es sich nur gut, dass die illegalen Nazis einen solchen schnell gefunden hatten: Die Juden. Juden lebten auch in der nĂ€chsten Stadt. Sie hatten Arbeit, verdienten nicht schlecht, machten sich die HĂ€nde nicht schmutzig. Und so war die Schuld an Edmunds Situation schnell auf die Juden geschoben. Er fand Anschluss bei den illegalen Nazis. MĂ€rz 1938 kami und somit der Anschluss an Hitler Deutschland. Als Hitler in Wien einmarschierte, war Edmund unter den jubelnden Massen. Er war erleichtert, dass der Erlöser endlich da war. Er wĂŒrde sie alle retten. Dem war doch nicht so. Das erste Problem trat auf, als Edmund wieder daheim in unserem Dorf war. Mein Uropa fragte ihn wo er denn war. Als Er herausfand, dass sein eigener Sohn, den er solidarisch, weltoffen und sozialdemoratisch erzogen hatte einer der Hitler Jubler war, warf er ihn mitsammt seiner Frau und dem Jungen hinaus. Kurz darauf starb der Kleine nun. Edmund gab seinem Vater und den Juden die Schuld, aber nicht der aus der Not entstandenen ErnĂ€hrung.
Als der Krieg weiter voran schritt wurden beide BrĂŒder meiner Oma eingezogen. Mein Uropa nicht, da er zunĂ€chst zu alt war. Edmund schritt voll Stolz geschwellter Brust in den Krieg fĂŒr seinen FĂŒhrer und sein Vaterland. Oma pflegte immer zu sagen: âDer gute Bruder musste in Russland an der Front erfrieren. Der schlechte hatte das GlĂŒck in Polen erschossen zu werden und musste nicht leiden. Ich hĂ€tte es ihnen umgekehrt gewĂŒnscht.â
© MariaFichtinger 2022-08-16