von Hinnerk Köhn
„Wir können hier nicht halten, hier ist Hipsterland!“, schreit mir Timo entgegen und ich springe in den grünen VW Bus, den wir nur Lauch nennen. Benni drückt aufs Gas und wir knallen die Tür während der Fahrt zu.Merke: Wenn du zu einer Werkschau einer Designuniversität in Schwäbisch Gmünd gehst, rechne damit, dass auch erwachsene Männer noch Schulrucksäcke von SCOUT mit Delphinen drauf tragen.Swaggy Gmünd, wie die Studentenottos gesagt haben, war bisher ein absoluter Reinfall.Unsere Unterkunft ist das WG-Zimmer von Ina, einer alten Freundin, die auch irgendwas mit Schmuck studiert und a) ist das Zimmer nicht groß und b) sind wir 5 ungewaschene, dauerbetrunkene, pubertäre Typen, die seit anderthalb Wochen nicht masturbiert haben und vor allem nicht gerade die kultiviertesten Herren der Schöpfung sind.Nachdem wir in einer Kneipe Hausverbot bekommen haben nachdem wir recht lautstark das Lied:„Ja, wir sind Holsteiner. Im Saufen schlägt uns keiner. Und schlägt uns doch mal einer. Dann wars ein Holsteiner“ und der Freund von Ins Mitbewohnerin uns die ganze Zeit mit seiner Mucke genervt hat entschieden wir uns sang- und klanglos abzuhauen und ließen Ina noch 20 € für die Unkosten da.Erst viel später sollten wir erfahren, dass ihr Mitbewohner kurze Zeit später als Rapper „Cro“ Stadien füllt. Chance vertan.In Stuttgart angekommen besuchen wir den Vater und die Lebensgefährtin von Timo. Thomas und Bine sind zwei sehr gut gekleidete Anfang 50er die so viel Geld verdienen, also wirklich soviel Geld, so fucking viel Geld, dass sie uns einen Smirrnoff zur Begrüßung geschenkt haben. Na ja, schmeckt ja trotzdem.Kalle hat Geburtstag. Mit beachtlichem Selbsthass trinken wir uns kaputt, mit Genuss hat all das schon lange nichts mehr zu tun. Wir denken, es geht um die Jugend und das Leben, aber in Wirklichkeit ertrinken wir unsere Gefühle und Gedanken, um zu vergessen und uns wie unsere Väter auf ein ödes Leben vorzubereiten. In der Villa von Bine liegen wir rum, die Energie ist aus uns rausgesogen, wir sind lebende Leichen. Jegliche Euphorie ist weg. Ausgerechnet an Kalles Geburtstag erkennen wir, dass wir keine Band sind, sondern ein Haufen Halbstarker, die sich einreden, aus ihrem bedeutungslosen, kleinen Leben irgendetwas Großes zu erschaffen. Aber am Ende bleibt die Gewissheit, wir sind doch nur die Bürokaufleute von morgen.
Hansen hat sich besoffen Dreck ins Auge gerieben, sein Auge schmerzt und pocht und eitert. Wir setzen ihn am zerpflückten Stuttgart21-Bahnhof ab und er fährt schon mal vor. Am liebsten würden wir alle mit, aber wir sind stur und wollen unseren letzten geplanten Halt noch mitnehmen. Benny fährt den Bus durch bis zum Campingplatz Amsterdam.
© Hinnerk Köhn 2021-07-30