Onkel Friedl

zettale

von zettale

Story

Ein Schicksal, das sich meine Eltern teilen, ist die Tatsache, ihren leiblichen Vater nie kennengelernt zu haben.

Hatte man bei meinem Papa das Gefühl, dass er nicht sonderlich darunter litt und es ihm nicht wichtig war, verhielt es sich bei meiner Mama anders.

Das einzige Foto, das sie von ihrem Vater hatte, zierte seit ich denken kann unseren Wohnzimmerschrank. Von ihm wussten wir auch um einiges mehr.

Meine Oma, geboren 1911, war schon in recht jungen Jahren verwitwet und lebte mit ihren beiden kleinen Töchtern allein auf einem Bauernhof im Kärntner Jauntal. In den Kriegsjahren wurde ihr ein Knecht zur Seite gestellt mit dem sie wohl mehr als nur die Arbeit teilte. Im Oktober 1944 kam meine Mama auf die Welt. Erst als im Mai darauf der Krieg zu Ende war, erfuhr Oma, dass er bereits verheiratet war und zu seiner Frau nach Osttirol zurückkehren wollte. Was er auch tat. Meine Mama litt sehr darunter ohne leiblichen Vater aufwachsen zu müssen.

1965, vor ihrer Heirat, schrieb sie ihm einen Brief, da sie ihn wenigstens bei ihrer Hochzeit dabei haben wollte. Sie bekam auch Antwort, worin er sie jedoch bat von weiteren Briefen an ihn Abstand zu nehmen, da er sonst Schwierigkeiten mit seiner Frau hätte. Aber er schrieb ihr auch, dass sie nun drei Brüder hatte und schickte ihr ein Foto von ihnen mit. Friedl ist einer davon.

Die Jahre vergingen, ich wurde erwachsen und habe heimlich recherchieren begonnen und über den Dorfpfarrer in Leisach das Sterbedatum und den Ort des Grabes meines Großvaters erfahren.

Am folgenden Muttertag hab ich meine Mama und zwei Tanten ins Auto gepackt und hab mit ihnen von Unterkärnten aus eine Fahrt ins „Blaue“ unternommen. Je länger wir durch Kärnten fuhren und je näher wir Osttirol kamen, desto stiller wurde meine Mutter. Irgendwann hat sie gefragt „wir fahren jetzt aber nicht nach Leisach, oder?“

Doch fuhren wir. Als sie an seinem Grab stand und sein Foto sah, sagte sie auf einmal „Den kenne ich! Der stand mal mit seinem Rucksack auf der Straße vor unserem Haus und hat nur geschaut.“ Er hatte zwar nicht den Mut sie anzusprechen, aber es hat ihr so gut getan, jetzt zu wissen, dass ihr Vater sich doch für sie interessiert hat und wir fuhren sehr glücklich wieder nach Hause.

Jahre später gab es einen Artikel in der Kleinen Zeitung, wo Geschwister sich nach 70 Jahren zum ersten Mal begegnet sind und die Freude auf beiden Seiten groß war. Diesen habe ich zusammen mit einem Brief meinem Onkel Friedl geschickt. Und die Reaktion war überwältigend! Die drei Brüder haben erst am Sterbebett ihrer Mutter von ihrer Schwester erfahren. Konnten sie aber mit den wenigen Angaben nicht finden. Seither besuchen sie meine Mama regelmäßig und die Liebe und Herzlichkeit ihrer Brüder tut ihr so unendlich gut.

Als ich wieder mal bei meinen Eltern war, schob mir mein Papa einen Zettel hin mit den spärlichen Angaben, die er von seinem Vater hatte, aber wie soll man jemanden namens Josef Deutsch finden, von dem man nur das Geburtsdatum hat?…

© zettale 2020-01-25