Opa der Schlawiner

Lia Pipa

von Lia Pipa

Story

Meine Oma, eine gesellige Dame hegt und pflegt ihre Freundschaften und ist ĂŒberall ein gern gesehener Gast. So war sie auch diesmal bei einer Freundin eingeladen. Als kleine Aufmerksamkeit hatte sie eine teure Schachtel Pralinen mitgebracht. UnglĂŒcklicherweise setzte der Schokogieper der Besuchten just in dem Moment der Present-Überreichung ein. Andernfalls hĂ€tte sich Oma wahrscheinlich zu Hause trotzdem geschĂ€mt. Aber sie wĂ€re zumindest nicht mehr mitten im Rampenlicht gestanden. Die Schachtel wurde geöffnet und der großmĂŒtterliche Schock setzte ein: Ein einziges, kĂŒmmerliches Konfekt bildete den spĂ€rlichen Inhalt der ansonsten leeren Box. Was ihr durch den Kopf ging? Man kann es nur erahnen. Sie betete vermutlich, dass sich der Erdboden auftat, sie verschluckte und aus der Peinlichkeit befreite. Innerlich kochte sie vermutlich.

Was war geschehen? Einige Tage zuvor besuchten mein Bruder und ich unsere Großeltern. Meine Oma war, warum weiß ich nicht mehr, außer Haus. So kam es, dass uns mein Opa verpflegte. Der erste Verköstigungs-Versuch war ein tiefgekĂŒhlter Germknödel. Der drehte zum Auftauen in der Mikrowelle seine Runden. Leider wurde das GustostĂŒck dadurch dermaßen hart, dass sich die Zinken unserer Gabeln kunstvoll in alle Richtungen bogen. So wanderte der Steinknödel galant in die Tonne. Kein Problem fĂŒr meinen Großvater. Bekannt fĂŒr seine Lösungsorientierung kredenzte er einfach LeberkĂ€se. Seine Leibspeise hatte er mittlerweile perfektioniert. Wenn ich ehrlich bin, gab es den fast immer, wenn er uns Kinder allein versorgte, weil die Gattin außer Haus war.

Was fĂŒr den weiteren Verlauf der Geschichte noch wichtig ist: Mein Opa war Diabetiker. Aufgrund dieses Umstandes beobachtete Oma seine Essgewohnheiten mit Argusaugen, war sie doch um ihn und seine Gesundheit besorgt. Was außerdem erwĂ€hnt werden muss: Er war bekannt fĂŒr seine Sturheit. Diabetikerschokolade? BÀÀÀÀh!!! Von der bekommt man höchstens Flitzgack. Und wer will den schon? Nein, nein! Er setzte lieber auf die doppelte Dosis Insulin. Schließlich lebt man nur einmal. So blieb Oma nichts anderes ĂŒbrig, als sĂ€mtliche SĂŒĂŸigkeiten vor dem Fressfeind zu verstecken. Wie findig diabetische SchleckermĂ€ulchen mitunter sind, unterschĂ€tzt sie dabei gewaltig.

Nach dem Essen meinte Opa mit verschwörerischem Funkeln in den Augen: “Komm, ich zeig dir etwas.” Kurze Zeit spĂ€ter standen wir gemeinsam vor dem Kasten, indem Oma frischgewaschene BettwĂ€sche und LeintĂŒcher verwahrte. FachmĂ€nnisch hob Opa die vorderste Reihe der WĂ€sche heraus und griff dahinter. Jubilierend, wie ein kleiner Junge, hielt er eine Schachtel Pralinen in den HĂ€nden. Bis auf Eine verputzten wir alle. Mit einer PrĂ€zision, die vermuten ließ, dass er das nicht zum ersten Mal machte, verschloss er die zuvor feinsĂ€uberlich geöffnete Box mit Kleber an den Seiten: “Damit die Oma net glei‘ narrisch wird.”

Ja, gleich wurde sie es nicht – die Reaktion kam zeitverzögert.

© Lia Pipa 2021-06-02

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