Opas Zuckertüte
Mein Vater war, was sein Zuhause und das Essen betraf, sehr verwöhnt von meiner Mutter. Die Wohnung und später unser Reihenhaus waren immer picobello aufgeräumt, sauber und einladend. Sie verstand es, aus unserem einfachen Zuhause etwas Besonderes zu machen. Natürlich auch, was das Kochen anging: süß, sauer oder herzhaft, meine Mutter servierte uns immer wieder die leckersten Speisen, angefangen vom duftenden Streuselkuchen mit selbst gemachtem Hefeteig, den fluffigen Berlinern, bis hin zu den goldgelben Bandnudeln, ebenfalls selbst gemacht versteht sich. Einmalig war ihr Sauerbraten, mein absoluter Favorit. Nie wieder habe ich so einen Leckeren gegessen. Verständlich, dass mein Vater nach ihrem Tod anfangs recht hilflos war. Die Arbeiten im und ums Haus herum konnte er zwar erledigen, aber Kochen war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Bald bekam er Hilfe von unserem Onkel, dem jüngsten Bruder meiner Mutter, alleinstehend und ebenfalls in Rente. Sie lebten fortan in einer Art WG. Mein Vater wurde von seinem Schwager, der viele Jahre in Frankreich gelebt und gearbeitet hatte,, mit exquisiten französischen Delikatessen bekocht. Die beiden lebten nicht schlecht. Einmal in der Woche lud ich meinen Vater zu uns nach Hause ein und wir bekochten ihn mit einem 3-Gänge-Menu. Zuerst gab es Suppe, dann folgte das Fleischgericht. Zum Schluss servierte ich einen Kuchen, für den Fall, dass er dafür noch ein bisschen Platz hatte im Magen. Oft winkte er aber schon nach der ersten bescheidenen Kartoffel- und Fleischportion ab, natürlich nicht, ohne zu betonen, wie gut es ihm doch geschmeckt habe, aber es sei einfach zuviel für ihn. Die Kinder freuten sich, blieb doch der ganze, noch unangeschnittene Kuchen für sie übrig. Und das Schönste, obendrein gab es noch eine riesige, bis obenhin gefüllte, gemischte Zuckertüte, das sonntägliche Mitbringsel des Großvaters. Diese Tüte hatte er vor seinem Besuch immer am Kiosk besorgt. Lakritzstangen mit oder ohne Zuckerfüllung, rote, grüne und blaue Weingummischnuller, saure Heringe, pinkfarbene Schlümpfe alles, was weder dem Magen noch den Zähnen guttat, steckte darin. Zu gerne hätte ich meinem Vater die bunte Tüte entrissen und wenn schon nicht im Mülleimer entsorgt, dann wenigstens in der obersten Schrankecke, unerreichbar für kleine Kinderhände. Doch dann war da diese Freude, als Opa die Wohnung betrat. Um allen gerecht zu werden, war das Erste, was mein Vater bei seiner Ankunft tat: Er überreichte der etwas vorwurfsvoll dreinblickenden Mutter die süßen Schätze. ‚Zum Einteilen‘. Doch die Kinder wussten, dass ich, zumindest heute, großzügig sein würde. Und so bedienten sie sich fleißig, denn der Sonntag war ja immer Opatag. Und der schmeckte für sie nach Lakritz, Weingummi und sauren Heringen Und obendrein nach ganz, ganz viel Opaliebe.
© Eva-Maria Fontaine 2025-04-04