Opas Bilder im Kopf

allesachtsam

von allesachtsam

Story

Fotografie ist wie Malen im Kopf. Fotografie ist nicht Kamera. Fotografie ist nicht Linse. Fotografie ist das Ablichten von Bildern, die man schon vorher im Kopf hat. Fotografie ist auch das Festhalten von besonderen Menschen und Monumenten. Fotografie ist Leben auf Leinwand. Fotografie ist Liebe, Vergangenheit, Moment und zukĂŒnftige Erinnerung.

Als ich ein kleines Kind war, habe ich meinem Opa oft in der Dunkelkammer Gesellschaft geleistet. Seine KĂŒnste konnte Opa als Hobbyfotograf und beruflich als Firmenfotograf in der Stahlindustrie umsetzen. Es roch streng im Keller-KĂ€mmerchen, nach Essig und Chemikalien. Der kleine, in Rotlicht getunkte Raum, war die GeburtsstĂ€tte wunderbarer Bilder. Behutsam tauchte er das Fotopapier in die Wanne. Langsam entstanden aus den Konturen Kontraste. Opa war eine KoryphĂ€e der Schwarz-Weiß Fotografie, ein alter Meister der Analogfotografie.

Das Fotozimmer im Erdgeschoss, war sein RĂŒckzugsort. Dort thronten sie, Yashica, Mamiya, Hasseldblad und spĂ€ter Nikon und Minolta. Stative, Objektive, Fototaschen und Fotoalben vervollstĂ€ndigten das kĂŒnstlerische Ambiente.

Am KĂŒchentisch breitete er oft eine große Matte aus. Mithilfe eines schweren Eisenlineals schnitt er millimetergenau seine Passe-Partouts zu. Er wusste genau, wie man mithilfe von einem Schwamm und Chemikalien manuell Bilder vergrĂ¶ĂŸern konnte. „Weißt du, MĂ€dchen, das ist schon ein besonderes GefĂŒhl, wenn du das erste Mal dein eigenes Bild im Fotostudio machen kannst! Bis auf 1,20m habe ich vergrĂ¶ĂŸert!“, ließ Opa mich kĂŒrzlich wissen.

Objektive, Brennweiten, Tele- oder Weitwinkel, fĂŒr mich ein technischer Hilfeschrei, fĂŒr Opa bekanntes Fachvokabular. Er trat eines Tages dem stĂ€dtischen Fotoclub bei und fand dort Gleichgesinnte. Wöchentlich trafen sich die Naturliebhaber im Fotoarchiv der Stadt, berieten einander und philosophierten ĂŒber die richtige Kameraeinstellung.

„Einmal bin ich sogar auf den hiesigen Kirchturm geklettert, um den Sonnenaufgang ĂŒber der Stadt festzuhalten. Ein anderes Mal durfte ich die erste farbige Frau in unserem Spital, direkt nach ihrer Geburt mit dem Neugeborenen ablichten. Und kennst du das Bild, wo ich am Großglockner war?“ Opa ist knapp 90 Jahre alt und mittlerweile leider sehr vergesslich. Aber diese Bilder, die hat er im Kopf und er kann sie beschreiben, als wĂ€re es gestern gewesen.

„Weißt du, MĂ€dchen, einmal habe ich sogar den Kulturpreis des Landes Steiermark gewonnen, fĂŒr meine Fotoserie ĂŒber die Austria Draht (heute Voest Alpine)“. Opa lacht, reibt sich die Nase und ergĂ€nzt, „wenn es in einem GebĂ€ude wie einer Kirche sehr dunkel ist, brauchst du eine große Blende, die ganz lange aufmacht und einen Selbstauslöser. Inzwischen musst du die Leute verscheuchen, dann bekommst du ein perfektes Bild.“

Mein Favorit ist jenes Bild, das er von mir als 3-JĂ€hrige beim „Putzen“ seiner Bergschuhe machte. Meine Liebe zur Fotografie habe ich wohl geerbt.

© allesachtsam 2020-07-22

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