„Nein, lieber Luzi. Du wirst binnen Jahresfrist zwei Menschen glücklich machen. Du wirst dafür sorgen, dass ein Mann und eine Frau zueinanderfinden, damit sie ihr Leben gemeinsam verbringen können. Sollte es Dir nicht gelingen, wirst Du umziehen und ein ganzes Jahr hier oben leben.“
„Was? Ich soll meine wunderbare Bleibe mit DEM hier tauschen? Ein Jahr lang soll ich diese grässlichen Harfenklängen ertragen? Weißt Du, was Du da von mir verlangst?“
„Ich vertraue darauf, dass Du es schaffst, zwei Menschen glücklich zu machen. Dann darfst Du weiter Deine wilden Feste feiern und brauchst nicht auf die Manna-Segnungen zu gehen.“ Der Alte nickte Luzi zu.
„Menschen zu ihrem Glück zu verhelfen, zählt nicht unbedingt zu meinen Stärken, wie Du weißt.“
„Manchmal muss man Dinge einfach tun. Du schaffst das.“
Mit einer Handbewegung des Alten lösten sich die Spielkarten in Luft auf.
„Du entschuldigst mich, Luzi. Ich muss mich um ein paar unfolgsame Erzengel kümmern.“ Er stand auf, klopfte Höllenthal auf die Schulter und ging mit beschwingtem Schritt davon. Um genau zu sein schwebte er, denn er hatte ja keinen Boden unter den Füßen.
Höllenthal sprang ohne ein weiteres Wort von der Spieltischwolke und verschwand im Tiefblau des ihn umgebenden Himmels.
Der Weg nach unten war für ihn eigentlich stets wie eine entspannte Fahrt nach Hause. Aber dieses mal war er verärgert. Ein ganzes Jahr im Himmel ? Ein Jahr lang beten, fromme Verse lernen und gesegnete Hostien knabbern? 365 Nächte lang keinen Schnaps, keine vulgären Witze und keine frisch eingetroffenen Höllenfrauen flachlegen? Unvorstellbar! Er musste einen Weg finden, zwei Menschen glücklich zu machen. Schon der schiere Gedanke an das Wort „glücklich“ verursachte in seinem Mund einen Geschmack wie Weihwasser.
Luzi spuckte aus. Eine fürchterliche Vorstellung.
Sobald er in der Hölle angekommen war, durchsuchte er sein Schlafgemach nach diesem verflixten Ding. Er hatte es schon so lange nicht mehr benützt, dass er, gesegnet und zugenäht, nicht mehr wusste, wo es herumlag.
„Ah, da ist es ja!“ Luzi Höllenthal hatte entdeckt, was er gesucht hatte. Schwer lag es in seinen Händen: Sein gutes, altes Fernrohr, das ihm sein Opa Beelzemayer vermacht hatte, bevor er den Weg alles Höllischen gegangen war.
Um eines klarzustellen: Auch Teufel sind sterblich. Sie sind sogar ziemlich gefährdet, einen frühen Tod zu erleiden, weil sie allen Vergnügungen des Lebens sehr zugetan sind. Wenn der Teufel in Ausübung seines Berufes auf tragische Weise das Zeitliche segnet, muss die Höllenversammlung auf die Suche nach seinem Nachfolger gehen. Leberzirrhose, Lungenkarzinome und Geschlechtskrankheiten belegen die ersten drei Plätze bei den Gründen für verfrühtes Ableben von Teufeln. Dahinter rangieren Unfälle mit Fortbewegungsmitteln aller Art in Verbindung mit winterlichen Straßenverhältnissen.
© Norbert Donnerstag 2022-01-29