von Silvia Peiker
Wer hat schon von Kalimachos von Kyrene gehört, der als erster Kartograf der Literaturgeschichte im 3. Jahrhundert v. Chr. die weitläufige Bibliothek von Alexandria katalogisierte? So erfand er die alphabetische Ordnung, nach der er Schriftrolle um Schriftrolle nach Namen von Autoren und bei Namensgleichheit auch nach Herkunft, archivierte. Er sorgte umsichtig dafür, dass die pädagogischen und philosophischen Werke Platons nach seinem Rufnamen Platon, der übersetzt breiter Rücken bedeutet, und nicht nach seinem Geburtsnamen Aristokles, abgelegt wurden.
Sein Katalog namens Pinakes (die Tafeln) ist legendär, wenn auch leider nicht erhalten. Innovativ klassifiziert er die Bücher nach dem Genre, was der Signatur in alten sowie modernen Bibliotheken entspricht. Somit schuf der Dichter, dessen eigene Werke leider aufgrund der fragilen Beschaffenheit der Papyrusrollen verloren gingen, die Basis sowohl für die bibliografischen als auch für die enzyklopädischen Wissenschaften, die wiederum nützlich für alle anderen Studienrichtungen sind. Der fragile Papyrus verträgt keine Feuchtigkeit, deshalb sind keinerlei schriftliche Überreste der Bibliothek von Alexandria, der Hafenstadt am Mittelmeer, erhalten. Schriftrollen hingegen, die im ägyptischen trockenen Wüstenklima unter dem Sand begraben so konserviert die Zeit überdauerten, zeugen jedoch von der einstigen Fülle an Wissen, das in deren Regalen schlummerte. Interessant ist, dass sich in der Zeitspanne von 1500 bis 300 v. Chr. 55 Bibliotheken im Nahen Osten manifestierten, während Europa noch in bibliophiler Dunkelheit weilte. Damals wie heute scheinen die Uhren stillzustehen, wenn wir ein Buch aus den Regalen der Leihbücherei aufschlagen und uns die aus Schreiblust geborenen Erzählungen wortreich entgegenhüpfen.
In unserer schnelllebigen Zeit verdanken wir dem britischen Physiker und Informatiker Tmothy Jones Berners-Lee, dass virtuelle Dokumente mittels URL von anderen Computern gelesen werden können. Der Begründer des World Wide Web verdankt seine zukunftsweisenden Ideen dem Ordnungssystem der Bibliotheken und seine erste Erfindung, der Hypertext, ermöglicht uns das nahtlose Recherchieren von mannigfaltigen Texten, indem wir von einem Link zum nächsten klicken. Von der haptischen zur virtuellen Bewahrung unseres ethnischen Wissens bedurfte es zahlreicher findiger und kreativer Köpfe, die Irene Vallejo in ihrem wundervollen Roman Papyrus eindrucksvoll Revue passieren lässt. Mithilfe ihres imaginären Zauberstabs lässt sie ihre Leserschaft am Buchgut längst versunkener Welten teilhaben, entführt zu den Begründern unseres heutigen Alphabets, den Phöniziern, oder führt uns die Kunst der elaborierten Rhetorik der Griechen vor Augen.
Eigenes Foto: Irgendwo; Matthew Wang
© Silvia Peiker 2025-04-13