von Otto Köhlmeier
Das Segeln erlernten wir als Buben in den Salzkammergutseen. Spielerisch, wie wir auch Laufen und Schwimmen und Radfahren lernten. Später segelten wir entlang den Küsten Italiens und Istriens und Dalmatiens. Und seit einigen Jahren unternehmen wir regelmäßige Segeltörns im südasiatischen Raum. Im Süden Thailands, um Indonesien, um die Philippinen.
Vor gut zehn Jahren war es, dass wir – wie immer zu sechst unterwegs (sechs kernige junge Männer aus Oberösterreich) – in der Sawu-Sea segelten, Richtung Ombai-Strait. Wir sollten unbedingt in Vila de Liquiçá anlegen, hieß es. Und dann der Nordküste der Insel entlang schiffern. Osttimor sei eines der schönsten Länder. Unverfälscht noch. Unzerstört. Und von der Seuche Tourismus noch weitgehend verschont.
Wir meinten, da wir doch schon einige Male da waren, die Gegend – das Land, die Menschen, die Kulturen – halbwegs zu kennen. Und erwarteten uns nicht allzu viel, als wir kamen. Und waren deshalb umso überraschter. Da waren, außer ein paar Einheimischen, kaum Menschen. Die Sandstrände waren verwaist, frei von Deutschen und Holländern und Franzosen, wie wir sie von den indonesischen Küsten her gewohnt waren.
Bereits in Vila de Liquiçá wurde uns klar, warum dem so war, warum kaum Fremde in diese Gegend kamen. Bis vor kurzem herrschte blutiger Terror im Land. Weltweit wurden Reisehungrige gewarnt, einen großen Bogen um die Insel zu machen. Wir stehen vor der Kirche Sao Joao de Brito, wo wir über das Kirchenmassaker von Liquiçá informiert werden, bei dem hunderte Männer, Frauen und Kinder, die in der Kirche Schutz suchten, von indonesischen Besatzungssoldaten erschossen wurden.
Die See ist ruhig, sodass wir nah der Küste segeln können. Tasi Feto, klärt uns ein Einheimischer auf. Frauen-Meer, weibliches Gewässer. Sanft und mild. Die See im Süden der Insel, das Timormeer, das sei männlich. Wild, rau, gefährlich. Tasi Mane. Wir wollen ohnehin nicht so weit. Wir sind überwältigt von den Eindrücken, die uns entlang der rund sechshundert Seemeilen Nordküste geboten werden.
Wann immer wir an Land gehen, wundern wir uns. Die Strände sind traumhaft. Ein Paradies für Urlauber. Trotzdem gibt es so gut wie keine Unterkünfte für Fremde. Und wenn, dann stehen diese leer. Eben weil sich keiner herwagt.
Wir erreichen den äußersten Osten der Insel. Neben der Hauptinsel Osttimor liegt die kleine Insel Jaco, die zum Staatsgebiet von Osttimor zählt. Jaco ist eine unbewohnte Sandinsel. Eine Insel, wie man sie sich vorstellt, wenn man den Traum vom Paradiese träumt. Der Sand ist so fein, dass er dir durch die Finger rinnt. Das Wasser kristallklar. Und wir sind die einzigen Menschen hier. Keiner von uns sagt etwas. Wir sehen uns nur an und wissen, was der andere, was jeder von uns denkt. Hier möchte ich gerne bleiben. Für immer und ewig.
Wie gesagt: das war vor etwa zehn Jahren. Wir wissen nicht, wie es heute aussieht. Ob Jaco in unseren Träumen noch immer den Platz von einst einnehmen würde.
© Otto Köhlmeier 2021-04-08