Ottenstein

Ingmar

von Ingmar

Story
Ottenstein, Waldviertel, NÖ 1967 – 2024

Letzten Samstag ging ich wieder einmal eine Runde mit meinen Walkingstöcken. Das Wetter war herrlich und es waren viele Spaziergänger und Sportler entlang der Donau unterwegs. An der Schiffsanlagestelle hatte wie immer das mittlerweile historische Schiff MS Mariandl (Baujahr 1954) angelegt. Durch die Fenster sah ich, dass die Tische gedeckt waren und anscheinend eine Ausfahrt bevor stand. Vor dem Anlegesteg stand ein Lieferauto mit der Aufschrift Hotel Ottenstein. Dies machte mich neugierig. In einem Prospekt las ich, dass man über Nostalgietours MS Mariandl, wozu auch die Unternehmensgruppe Ottenstein gehört, das Schiff jederzeit chartern kann.

Vergangenen Sommer war ich mit meinen Geschwistern im Waldviertel. Damals war ich enttäuscht, alles kam mir verlassen vor. Wir verbrachten hier ja den Großteil unserer Kindheit und ich habe alles viel belebter in Erinnerung.

Hotel- Schloss- und Stausee Ottenstein gehörten damals der Windhagschen Stipendienstiftung und danach der EVN. Die drei Anlagen gehörten zu den größten Arbeitgebern weit und breit. Das Hotel war eine Jugendherberge und im Sommer immer voll ausgebucht. Um am Stausee ein Ruderboot zu ergattern durfte man nicht zu spät dran sein, sonst hieß es warten bis wieder ein Boot anlegte. Das ganze Gebiet rund um den See war und ist immer noch ein beliebtes Ausflugsziel zum Baden und Wandern. Kein Wunder, erinnert der See mit seinen verwinkelten Buchten fast ein wenig an skandinavische Fjorde. Auch die Ruine Lichtenfels und die 69 m hohe Staumauer sind eine Besichtigung wert. Mein Herz habe ich aber eindeutig an die Burg (Schloss) Ottenstein verloren. Die stolze Burg thront hoch über dem Kamp auf einem Granitfelsen und ist schon von Weitem zu sehen. Sie wurde im 12. Jahrhundert zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Man nimmt aber an, dass sie weit älter ist.

Unser Vater, ein einfacher Hilfsarbeiter hatte es damals, mit viel Fleiß zum Verwalter des Schlosses und Chef des dazugehörigen Restaurants gebracht. Daher wuchsen wir praktisch fast im Schoß auf. Er holte mich jeden Samstag von der Schule ab, ich muss ungefähr elf Jahre alt gewesen sein. Sofort fuhren wir ins Schloss. Am Parkplatz reihte sich ein Autobus neben dem anderen. Die Speisesäle waren voll besetzt mit Ausflüglern. Als diese nach dem Mittagessen gemütlich bei Kaffee und Kuchen saßen, ging ich mit einer Box voller Ansichtskarten durch die Tischreihen und bot jene zum Verkauf an. An den Preis kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das Trinkgeld durfte ich natürlich für mich behalten.

Es gab kaum ein Wochenende ohne Hochzeitsfeier und die rustikalen Ritteressen waren ebenso legendär. Dazu waren die Kellner mittelalterlich gekleidet und auch den Gästen standen Kostüme zur freien Verfügung. Diesen Kleiderfundus nützten wir als Kinder damals auch gerne. Wir spielten Ritter und Burgfräulein und durchstreiften so die altehrwürdigen Räume. Die wir damals natürlich noch nicht zu würdigen wussten. …



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© Ingmar 2024-01-31

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Romane & Erzählungen
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Emotional, Hoffnungsvoll, Informativ, Unbeschwert, Reflektierend
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