von Michael Rahn
Hier beginnt die Sahara. Die Gegend ist schon lange ein beliebter Drehort, nicht nur für Sandalen- und Bibelfilme; auch Hitchcocks „Mann, der zu viel wusste“ und „Lawrence von Arabien“ wurden hier gedreht. Heute ist Ouarzazate das Hollywood Marokkos mit einem großen Filmstudio. Vor allem aber ist es ein Knotenpunkt, von dem die Hauptrouten in alle Himmelsrichtungen führen.
In den 1970er Jahren ist Ouarzazate noch ein verschlafenes Städtchen, der erste größere Ort südlich des Hohen Atlas. Ich komme mit dem Bus aus dem Osten, von Tinerhir, habe, für alle sichtbar, während der Stopps viel fotografiert. In Ouarzazate ist Pause, Zeit für Tee und einen Imbiss. Anschließend schlendere ich zum Bus zurück, der gerade aufgetankt wird. Von den anderen Passagieren, ausschließlich Berber, sind erst einige eingestiegen. Ich deponiere die Kameratasche auf meinem Sitz, frage den Busschaffner nach der Toilette – der Weg über den Hohen Atlas nach Marrakesch ist noch weit. Er ruft den Tankwart mit dem Schlüssel, ich erledige, was zu erledigen ist, in kürzester Zeit. Und als ich wieder um die Ecke des Gebäudes biege, ist der Bus weg. Mit meinem Gepäck, vor allem aber mit der Fototasche samt Pass, Bargeld und Amex-Reiseschecks (so was gab’s damals noch).
Ich frage den Tankwart. Ja, der Bus ist abgefahren, nach Marrakesch. Ein anderer winkt mir, es gebe noch eine Haltestelle weiter oben in der Stadt. Wir rennen die Straße hinauf, biegen auf einen größeren Platz ein – aber auch hier ist der Bus schon weg. Ein Angestellter der Buslinie will mich am Ärmel in sein Büro ziehen: Wir müssten nach Marrakesch telefonieren. Ich schüttle nur den Kopf: Bis der Bus dort angekommen ist, ist die Fototasche samt Pass und Geld verschwunden, so viel ist mir klar. Ich habe nur Hemd und Jeans an, krame in der Hosentasche und fördere einen Zehn-Dirham-Schein zutage – nach damaligem Wechselkurs fünf DM, nicht gerade üppig, um hier am Rand der Sahara allzu weit zu kommen.
In diesem Moment taucht wie ein Traumbild ein VW-Bus auf. Er kommt langsam die Straße hoch, und – oh Wunder – er hat ein Hannoveraner Kennzeichen. Ich springe auf die Straße, winke, der Bus hält, und ich erkläre dem deutschen Paar mein Dilemma. „Bitte, können wir dem Bus hinterherfahren?“
© Michael Rahn 2021-01-09