von Lissi Winter
Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. In der Küche dröhnte Musik von Kraftklub aus einer Bluetooth-Box, dazu laute Gespräche und Gelächter. Irgendwie war ich wohl zu Hause. Ich warf meine Tasche in das Zimmer gegenüber der Tür und meine Schuhe auf den großen, ungeordneten Haufen, der vor dem Regal auf dem Boden lag.
Mein Kühlschrank war halb leer seit Mitbewohner Nummer vier ausgezogen war. Ich ließ die Fächer wie sie waren. Stapelte mein Essen lieber, anstatt es aufzuteilen. Es fehlte, das angeschnittene Butterstück mit Marmelade und der Turm aus Activia-Joghurtbechern mit Rabattaufklebern. Und der Mensch, der sie hineingestellt hatte, der fehlte mir auch ein wenig. Für einen kurzen Moment schielte ich auf die Uhr: Zwanzig Uhr zweiunddreißig. Immer noch keine Spur von Hunger, aber gut, ich hatte auch erst vor vier Stunden zu Mittag gegessen. Trotzdem fütterte ich den Toaster und setzte mich an den Abendbrottisch, gedeckt mit dem bisschen, was man für einen Menschen so kaufte.
Die Stimmung war ausgelassen, verriet mir, dass so ein Spontanausflug auch für die anderen nichts Alltägliches war. Alle am Tisch waren regelrecht aufgekratzt, tauschten sich in der warmen Küche über das Konzert aus. In unserem Teil der Stadt passierten solche aufregenden Dinge nicht. Hier gab es nur Häuser und Bäume und Straßenverkehr, in der Dunkelheit ausgesperrt von unserem grellen Küchenlicht.
Ich war es nicht, die zuerst eine Story auf Instagram postete und das machte mich ein bisschen stolz. Schließlich war ich meinetwegen dort gewesen, nicht damit du mich dabei sahst. Wenigstens ein bisschen. Trotzdem dauerte es keine dreißig Sekunden, bis ich die Story meines Mitbewohners geteilt hatte, mein eigenes Foto vom Hinterausgang gleich hinterher. Im Hinterkopf die leise Frage, ob es überhaupt jemanden interessierte.
Ja, ich verließ das Haus. Ja, ich traf mich mit anderen Menschen. Und ja, manchmal machte das auch Spaß.
Aber ich wollte trotzdem, dass du es auch mitbekamst. Vorsichtshalber postete ich noch ein paar Fotos in meinen WhatsApp-Status, man wusste ja nie. Vielleicht interessierte es dich gar nicht mehr, was ich tat? Dann solltest du wenigstens darüber stolpern.
Die Themen am Tisch wechselten währenddessen wie das Wetter im April, es ging um Dates, Konzerttickets und ein neu erworbenes Dirndl mit rosa Blümchen. Interessiert lauschte ich den Gesprächen, streute hier und da Kommentare ein. Doch obwohl ich immer noch hier saß, auf dem schwarzen Küchenstuhl, direkt bei den anderen, wähnten sich meine Gedanken in sicheren zwanzig Metern Abstand. Meine Mitbewohner mitten im Geschehen, ich an der Hintertür.
Zwischendurch der Blick aufs Handy. Vierzehn Menschen verfolgten mein Leben.
Dein Name war nicht dabei.
© Lissi Winter 2022-12-09