Palinuro und Sorrent

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story
Süditalien 2005

Wenn ich an Palinuro denke, schweben mir sonnenwarme Natursteinmauern und huschende smaragdglänzende Salamander vor. Das Hotel Il Gabbiano war ein Glückstreffer im Neckermann-Katalog. Wunderschön direkt am Meer gelegen. Kleine Terrassen, Nischen und Balkone mit südländischem Flair und Kerzenlicht, spektakuläre Sonnenuntergänge im rundum verglasten Speisesaal, gutes Essen und freundliche Menschen. Palinuro ist in Reichweite zu Sorrent und somit ein geeigneter Ferienort, um wieder einmal unsere Verwandten in Süditalien zu besuchen und gleichzeitig einen entspannten Badeurlaub zu genießen. Es wurde weit mehr. So vieles galt es zu entdecken, zu bestaunen aus alter und neuer Zeit. Das Kap von Palinuro ist nicht nur eine landschaftliche Schönheit, sondern auch ein legendärer Felsvorsprung, von dem der namensgebende Steuermann von Aeneas ins Meer gestürzt sei und seinen Tod gefunden habe, wie uns Vergil wissen lässt.

Man kann die Landzunge hinauswandern, von wo man einen wunderbaren Blick auf die Bucht hat, oder mit einem Boot das Kap umrunden. Es brauchte viel Mut von Jakob, in den kleinen schlenkernden Kahn zu steigen, und in die dunklen Höhlen hineinzufahren, aber es wurde ein unvergessliches Erlebnis für uns alle: die Grotta Azzurra mit diesem unglaublich blauen Wasser; die wegen ihres Gestankes so benannte gelbe Schwefelgrotte; die Höhle der Mönche mit den Stalakmiten, die wie Kapuzenmänner aussehen und die Grotte des Blutes mit den auffällig blutroten Steinen. Möwennester schmiegen sich an die zerklüfteten Felsen. Natürliche Öffnungen geben die Sicht frei auf den dahinter liegenden Golf von Camerota. Rötliche Felsen wachsen in den Himmel vor dem blaugrünen Meer. Ein Naturwunderwerk ist auch der Arco naturale, ein Felsdurchbruch, der zu einem zauberhaften Strand führt.

Zu einem Badeurlaub in Süditalien gehört immer auch die Erkundung des Innenlandes und der Besuch in Sorrent – es war das letzte Mal auf der Terrasse in St. Agata, dass wir zusammensaßen, bevor Else, die Schwester meines Mannes verunglückte. Seit über dreißig Jahren lebt Else jetzt schon in Sorrent. Sie und ihr Mann Antonio sind geprüfte Reiseführer und geleiten hauptsächlich englische und amerikanische Reisegruppen mit viel Wissen und Charme durch die Sehenswürdigkeiten dieser außerordentlich schönen Region um den Golf von Neapel. Ihr Sohn Christian hat auf der Amalfi-Seite ein altes Haus in Nerano restauriert und wohnt mit seiner Lebensgefährten und zwei großen Hunden über dem Golf von Salerno. Sein Beruf und seine Leidenschaft sind das kunstvolle Bemalen von Motorrädern und Autos. Mit dem Deutsch-lernen hat es nicht so gut geklappt.

In einer lokalen Taverne essen wir zusammen Pasta und Cozzi und alles, was die italienische Küche zu bieten hat. Zum Espresso bestellt Else einen Cognac in Erinnerung an unsere Mütter, zu deren Zeit es chic war, in einem Cafe, Mocca mit Cognac zu trinken. Ich hatte das ganz vergessen und es berührte mich, an Mami zu denken, die einmal von meinem Schwiegervater eingeladen war, mit einer seiner Reisegruppen hierher zu fahren. Ebenso mein Vater. Beide liebten es zu reisen, konnten es sich aber nie leisten. Es war die weiteste und schönste Reise ihres Lebens.

© Christine Sollerer-Schnaiter 2024-09-16

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Informativ, Unbeschwert, Entspannend