von Lisa
Erwachsenensachen besprechen die Eltern nicht vor uns Kindern. Doch ich spüre schon lang, dass sie etwas beschäftigt. Und irgendwann steht es fest: Papa wird für neun Monate an einem amerikanischen College arbeiten. Ich spüre, wie sehr er sich freut. Mama, mein Bruder – eben erst Gymnasiast- und ich als schon große Volksschülerin werden in Salzurg bleiben. Papas ältester Bruder soll uns beschützen, falls wir in Not geraten. Warum Papa die Mama und uns Kinder nicht mitnimmt, getraue ich mich nicht zu fragen. Es wird Gründe geben. Ich bin das Kind, ich frage nicht.
Dann sind wir allein. Ich ziehe in Papas Betthälfte im Ehebett. Papa fehlt mir vom ersten Tag an. Ich kann es niemandem sagen. Ich kann nicht antworten, wenn Erwachsene mitleidsvoll zu mir sagen: „Goi, jetz´ hobt´s koan Papa, der foid eich!“ Aber ich kann vor dem Einschlafen weinen, ganz geheim, niemand soll es merken. Regelmäßig treffen hauchdünne Kuverts mit blauer Umrandung ein – Luftpostbriefe. Mama zieht sich damit zurück, sie sind ihr sehr wertvoll. Wir Kinder werden darin auch angesprochen und bekommen Grüße.
Am 24. Dezember versammeln wir uns vor unserem Vierteltelefon. Papa ruft an, aus Florida! Nach Monaten höre ich seine Stimme, so nah klingt sie! Er sagt, dass er an einem Pool unter Palmen sitzt und es Plastikchristbäume gibt. Es reicht nur für ein paar Worte, sonst wird es zu teuer.
Ab nun weine ich vor dem Einschlafen nicht mehr so oft, denn ich habe einen Traum. Ich male mir immer und immer wieder Papas Wiederkehr aus. Da gibt es nur Papa und mich. Wie er dem Flieger entsteigen wird. Wie er mich wieder in die Arme schließen wird und alles gut sein wird.
Im Sommer ist es endlich so weit! Papas vier Geschwister mit ihren Familien und natürlich die Oma reisen an. Das sind viele Leute! Mama schiebt ein riesiges Hendl uns Rohr, bevor wir alle zum Salzburger Flughafen fahren. Auf dem Dach des Flughafengebäudes erwarten wir Papas Maschine. Die Sonne brennt vom Himmel. Ich kann nicht mit meinen Cousinen spielen. Ich bin nur noch in meinem Traum.
Plötzlich werden die Erwachsenen unruhig. Papas Maschine wird eine Stunde Verspätung haben. E i n e Stunde! Ein Onkel rast mit Mama im Auto zurück ins Haus – das Hendl darf nicht verbrennen! Ich bleibe auf meinem Posten. Niemals darf ich den Moment versäumen, auf den ich so lange hingelebt habe!
Und dann ist es so weit! Als winziger Punkt erscheint Papa am oberen Ende der Gangway- ein Mann im rosa Hemd winkt uns zu . Als wir ihn endlich in der Halle begrüßen können, umarmt er zuerst…. Mama. Nicht mich! Und dann umdrängt ihn auch schon die Verwandtschaft.
Zu Hause versammeln wir uns für ein Familienfoto auf unserer Terrasse. Mein Onkel filmt alles mit. Ich habe schon Papas amerikanische Geschenke angezogen, Jeans mit Längsstreifen in blau-rot-weiß und ein knallgelbes langärmeliges T-Shirt. Papa macht das Victoryzeichen in die Kamera, legt einen Arm um Mama. Ich stelle mich vor ihn und schmiege meine Schulter an ihn. Aber nur ganz flüchtig.
© Lisa 2019-12-01