Paradoxe Intervention

Kurt Fleischner

von Kurt Fleischner

Story

WĂ€hrend ich wegen einer Missbrauchsanzeige zwischenzeitlich versetzt wurde, versah ich einige Dienste in SozialpĂ€dagogischen Wohngemeinschaften und Krisenzentren. Danach war ich der Außenwohngruppe des Julius Tandler Heimes zugeteilt. Dort waren extrem verhaltensauffĂ€llige Kinder im Alter zwischen 11 und 14 Jahren untergebracht, die im Julius Tandler Zentrum nicht fĂŒhrbar waren. Ein Team von besonders erfahrenen SozialpĂ€dagogInnen sollte diese Kinder dort betreuen. Ich erhielt den Anruf einer Kollegin, mit der Bitte ihren nĂ€chsten Dienst zu ĂŒbernehmen, die Jugendlichen wĂ€ren nachts in ihr Zimmer gekommen und hĂ€tten sie bedrĂ€ngt und bedroht.

Ich machte also Dienst in der Außenwohngruppe. Die Kids waren tatsĂ€chlich wie ein Sack Flöhe, der kaum beisammenzuhalten war. Ich war immer freundlich zu den mir anvertrauten Kindern und Jugendlichen. Ich war aber auch stets konsequent, wenn ich etwas von ihnen forderte. Ich ging ihnen konsequent nach und sie wurden mich erst los, wenn sie das, worum ich sie gebeten hatte, gemacht hatten. Das funktionierte meistens. Sogar bei mĂ€nnlichen Jugendlichen, die einen Kopf grĂ¶ĂŸer waren als ich. Hier jedoch hatte ich mit dieser Strategie keinen Erfolg. Wenn ich einem der Kinder nachging, verarschten mich die anderen. Als sie merkten, dass ich dem nichts entgegenzusetzen hatte, dauerte es nicht lange und die Situation entglitt mir völlig. Die Kids begannen schreiend herumzulaufen und die Einrichtung zu demolieren. Ich ĂŒberlegte einen Moment. Danach ging ich zu einem der Stockbetten und riss es um. Ich warf Polster und Decken gegen die Wand und sagte laut: „Ihr wollt hier alles kaputt machen? Ok! Ich helfe euch gerne dabei! Das macht sicher Spaß!“ Dann warf ich das nĂ€chste Bett um und es fiel mit lauten Krachen zu Boden.

Die Kinder erstarrten. Damit hatten sie offenbar nicht gerechnet. „Ich gehe, wenn mein Dienst beendet ist nach Hause.“, meinte ich. „Zu Hause habe ich es fein und gemĂŒtlich. Ihr könnt es euch dann hier in der Unordnung gemĂŒtlich machen.“ Es vergingen wenige Minuten und die Kinder holten Besen und Schaufel und ich half ihnen wieder Ordnung zu machen. Eine Viertelstunde darauf saßen sie friedlich und lieb neben mir auf der Couch und wir schauten im TV Fußball.

© Kurt Fleischner 2019-07-11