von Günther Stark
(In ‚Paris (1) – Chloé‘ flirtet Henri mit einer Pariser Schuhverkäuferin.)
Alors, wie sich Herr oder Monsieur Heine denn nun mit dieser dégradation fühle und ob ihn das nicht störe? möchte sie wissen.
Das schade ihm allenfalls in literarischer Beziehung, erklärt er augenzwinkernd, gewähre ihm aber auch wieder einigen Vorteil. Zum Beispiel seien unter seinen edlen Landsleuten, welche nach Paris kommen, manche, die ihn hier gern verlästern möchten; da sie aber seinen Namen immer deutsch aussprächen, komme es den Franzosen nicht in den Sinn, dass der Bösewicht und Unschuldsbrunnenvergifter, über den so schrecklich geschimpft werde, kein anderer als ihr Freund Enrienne sei. Jene edlen Seelen hätten ihrem Tugendeifer also ganz vergebens die Zügel schießen lassen; die Franzosen wüssten nicht, dass von ihm die Rede sei, und die transrhenanische Tugend habe vergebens alle Bolzen der Verleumdung abgeschossen.
Madame Morel sieht ihn wieder ungläubig an, versteht nicht, wie ein so hübscher und amüsanter junger Mann den Brunnen der Unschuld sollte vergiften können, und findet, dass sie keinen solchen Scharmanski mehr in ihrem Laden gehabt habe, seitdem ihr seliger Mann das Zeitliche gesegnet.
Es sei aber wie gesagt – fährt dieser beschwingt fort – etwas Missliches, wenn man unseren Namen schlecht ausspricht. Es gebe Menschen, die in solchen Fällen eine große Empfindlichkeit an den Tag legen. Einmal habe er sich den Spaß gemacht, den alten Musiker Cherubini zu befragen, ob es wahr sei, dass der Kaiser Napoleon seinen Namen immer wie Scherubini und nicht wie Kerubini ausgesprochen – und er spricht das italienische ‚u‘ wie das französische ‚ü‘ –, obgleich der Kaiser des Italienischen genugsam kundig war, um zu wissen, wo das italienische ‚ch‘ wie ein ‚que‘ oder ‚k‘ artikuliert werde. Bei dieser seiner Anfrage habe sich der alte Maestro mit höchst komischer Wut expektoriert.
Madame Maurel muss so herzlich lachen, dass ihr Tränen in die Augen treten.
Er selber habe dergleichen Échauffement nie empfunden, fährt er fort: Heinrich, Harry, Henri, Enrique – alle diese Namen klängen gut, wenn sie von schönen Lippen kämen. Am besten freilich klinge das italienische Signor Enrico. So habe er in den hellblauen, mit großen silbernen Sternen bestickten Sommernächten jenes edlen und unglücklichen Landes geheißen, Italien, das die Heimat der Schönheit sei und Raffael Sanzio von Urbino, Joachimo Rossini und die Principessa Cristina Belgiojoso hervorgebracht habe.
Er ist in ausgelassener Stimmung. So bringt er seine Souvenirs jetzt poetisch an die Pariserin: Parbleu Madame! er habe es im Französischen weit gebracht! Schon immer sei es seine Lieblingssprache gewesen. Er verstehe nicht nur Patois, sondern sogar adeliges Bonnenfranzösisch. Man müsse den Geist der Sprache kennen, und diesen lerne man am besten durch Trommeln.
„Durch Trommeln?“
Jawohl, durch Trommeln, Madame! Wieviel verdanke er nicht dem französischen Tambour! …
© Günther Stark 2021-02-28