von Nadine Bösch
Kennst Du das?
Wenn Du seit Wochen auf einen Arzttermin hin hoffst, und dann – Peng! Der Tag X ist gekommen. Du mit Herzklopfen und all Deinen Erfahrungen bepackt, stapfst in die Ordination, und dann…..zählst Du Deine Diagnosen auf, Deine Symptome, Deine Medikation und kurz was davon schon alles abgeklärt ist. Und dann, nach diesem kurzen knackigen Eindruck die erste Reaktion: Peng! Haben Sie schon einmal daran gedacht Medikamente fĂĽr Ihre Stimmung zu nehmen? Die wirken so schön stimmungsaufhellend und auch beruhigend. Haben Sie schon einmal einen Psychiater oder Psychotherapeuten zu Rate gezogen? Professionelle Hilfe auf dieser Ebene ist wirklich sinnvoll, denn mit so einer Krankheit haben Sie ja keinen normalen Alltag und Ihr soziales Umfeld kann man auch nicht immer damit belasten. Da war doch eigentlich ein ganz anderer Grund weswegen ich diesen Weg auf mich genommen hatte, aber da war ich längst raus. Raus aus meinem System, raus aus meiner Haut, raus aus meiner Hoffnung auf ein achtsames medizinisches Erstgespräch auf Augenhöhe. Mit einer Ăśberweisung zu einem Psychiater in der Hand bin ich nach drauĂźen gestĂĽrmt. Ich wurde wie so oft in meinem Innersten getroffen – dem wunden Punkt – der scheinbar benannten Schwachstelle – und es brachte mich zum Ă„uĂźersten. Zum äuĂźeren Rand voreiliger vorgefertigter und vorgemachter BeUrteilungen und Implikationen. Peng!
Kennst Du das?
Weit über zwei Jahrzehnte wurde ich über-hört, über-lächelt, über-lustigt und über-mächtigt von Menschen in weißen Kitteln. Ich war zu dick, zu belastet, zu kinderreich, zu betrogen, zu fröhlich, zu traurig, zu versteckt, zu geschieden, zu pleite, zu aktiv, zu Alles. Nur eines war ich nicht, obwohl ich es wahr-haftig war: chronisch krank. Und so ein Erlebnis wie heute reißt alte Wunden auf, auch welche die gerade noch verkrusten oder offen sind. Herzlich willkommen in der Praxis für All-gemein-Medizin. Herzlich willkommen im Universum für chronische Bewertungen aller Arten.
Kennst Du das?
Ich fĂĽhle mich immer noch mitgenommen – aber nicht wahrgenommen. Ich fĂĽhle mich mit meiner Krankheitsgeschichte ausgenommen und eingenommen von einem Sog aus Unverständnis, Desinteresse und Eins plus Eins RatSchlägen. Psychotherapie ist wirksam und kann sehr heilsam sein. Das weiĂź ich aus langjähriger intensiver Erfahrung. Aber sie hält eine chronische Krankheit nicht davon ab ihr UnWesen zu treiben. Und Peng! Schieß’ ich zurĂĽck und denke mir: Morgen ist ein neuer Tag. Ich mach’ das Beste daraus. So wie immer. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es da drauĂźen Menschen gibt die achtsame, offene, hinhörende Ohren und Herzen haben. Mit oder ohne weiĂźen Kittel – mit oder ohne Krankheit. In jedem Fall mit FeinSinn, Differenzierung und Wahrnehmung fĂĽr den ureigensten Weg sein Leben zu meistern. In jedem Fall ohne festnagelnde Narrative und festgehaltene Haltungen.
Und Peng! Flog der Vogel, den die Doktorin heute abgeschossen hat, sehnsuchtsvoll davon.
© Nadine Bösch 2020-09-29