Pep.e VI

Liebste Genossin,

ich danke dir für die Kraft spendenden Worte. Über deinen Brief hab‘ ich mich sehr gefreut.

Zu sechs Monaten wurde ich verurteilt und seit einem Monat sitze ich nicht mehr in U-Haft. Mein Zellennachbar ist ein alter Greis um die 80 Jahre alt, der in den frühen 80ern Lebenslang für Mord bekam. Jeden Moment erwarte ich seinen Tod oder meinen. Deswegen warte ich jede Nacht ab, bis ich ihn schnarchen höre und schlafe erst dann ein. In diesen Minuten habe ich mir zur Gewohnheit gemacht, an dich und unsere gemeinsame Zeit zu denken. Ich reflektiere oft auch unsere Revolution. Die leider scheiterte. Während du in Wien bist, um als Domina die Bourgeoisie dort zu quälen, lebe ich auf vier Quadratmetern. Wir hatten nie eine Chance. Heute ernten Männer wie Kostunica oder Djindjic die Früchte unserer Arbeit. Meinem Arm geht es wieder besser, Danke! Die Landung auf dem Helm des Polizisten bremste meinen Sturz beträchtlich ab. Finde es nur lustig, dass mich die Menschen auf dem Dach für einen Konterrevolutionär hielten. Lustig bin ich auch geflogen. Aber wie auch immer.

Ich möchte dir noch sagen, dass ich den feministischen Kampf im Herzen trage. Dank dir begriff ich das alle meine Traumata mit dem Patriarchat zusammen hängen. Patriarchat. Dieses Wort eröffnete mir einen ganz neuen Blickwinkel auf die Welt. Ich verstehe nun auch, warum unser Jugoslawien nicht funktionieren konnte. Wir waren, auf halber Strecke stehen gebliebene möchte gern Kommunisten. Warum? Weil mächtige Männer wie Tito Angst vor der Autonomie der Menschen hatten.

Meine Augen vermissen deine strahlende Existenz. Wann darf ich deine schwarzen langen Haare wieder fühlen, die in deine blauen Augen sehen und deine roten Lippen küssen? Es wäre schön, wenn du irgendwann im Winter wie nach Pozarevac kommst. Wenn ich hier rauskomme, gedenke ich mich einen Hund zu besorgen. Einen einfachen Straßenköter. Rassenhunde wirken auf mich wie kleine Faschos. Auf jeden Fall wünsche ich dir alles Zigo Glück, das ich noch habe und teilen kann. Pass auf dich auf Indira!

In Liebe,

dein Pepe am 18. 05. 2001