Perfect Timing

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Noch im Nachthemd, neben mir ein Häferl Kaffee, fahre ich den Laptop hoch und beginne einen Text über meine Mutter. Morgen ist Muttertag. Während ich tippe, kommt ein Whatsapp von Elsa. Ein Foto von einer Liste italienischer Corona-Wörter von A bis Z. Sie beginnt mit abbracci scomparsi, Umarmungen, die wir vermissen, und endet mit Sperrgebieten, zone rosse.

Mir fällt ein, für den Text brauche ich ein Foto. Whatsapp an Bruder, könnte er Muttis Glasvitrine fotografieren. Vorsichtshalber wende ich mich mit dem Anliegen auch an seine Partnerin. Antwort kommt sofort. Geht erst morgen, heute sei die Verabschiedung ihres Vaters. Ich, etwas betreten, drücke ihr mein aufrichtiges Beileid aus. Nachdenkpause.

Beende den Text, nachdem ich wieder Kürzungen vornehmen musste. Wie fast immer sind’s ein paar Zeichen mehr als 2500. Speichere Text ab.

Es ist fast 11. Habe fürs Wochenende mit niemanden was ausgemacht. Weiß nicht genau, ob ich Gesellschaft möchte oder nicht. Rufe Susi an. Erinnere mich, sie hatte unlängst erwähnt, sie würde gerne einmal kreatives Schreiben ausprobieren. Aber heute geht’s nicht, sagt sie. Morgen habe sie Zeit für einen kurzen Spaziergang. Ich freu‘ mich. Rufe Maja an und lade sie für heute zum Kaffee ein. Es gibt einen Apfelstrudel. Lockangebot angenommen. Sie kommt gegen 15 Uhr.

Ab jetzt alles im Laufschritt. Fertigteig aus dem Kühlschrank. Ich unter die Dusche. Hüpfe ins G’wand, heute alles in Lila. Zwei Klapptische entfalten sich auf dem Balkon. Kurble Markise heraus. Geht ganz leicht. Habe gestern das Gelenk geölt. Räume Max Frisch und desire lines aus dem Wohnzimmer, verstaue den Zeichenblock. Welches Tischtuch nehm‘ ich? Ein dunkelblaues aus Plastik mit Sonnenblumen drauf liegt eingerollt unterm Sofa. Ich ziehe es hervor. Ein Knäuel Lurch kommt mit. Rücke das Sofa von der Wand weg. Oh Schreck! Ein Besen muss her. Kostet Zeit. Schubse Plastiktischtuch wieder unters Sofa. Wähle ein meerblaues Leinentischtuch. Wische die Balkonsessel ab. Bemerke, Blüte der Ballonblume ist aufgegangen. Hole Sitzpölster aus dem Abstelltraum.

Ein Blick auf die Uhr. Muss jetzt noch einkaufen. Supermarkt ums Eck. Im Laufschritt meistere ich den Parcours. Durchsage, Kassa 1 eröffnet. Ich löse mich aus der langen Schlange vor Kassa 3 und bin die Erste bei Kassa 1. Zuhause wartet die Liftkabine schon im Parterre.

Heize Backrohr vor. Stelle Wasser auf. Schäle, viertle und hachle 6 Äpfel. Zucker, Rosinen, Zimt. Schiebe den Strudel ins Backrohr. Stelle Küchenuhr auf 30 Minuten. Werfe die Mozzarella-Tortelloni vom Vortag ins kochende Wasser. Mach mir eine Riesenschüssel Salat. Veranschlage 20 Minuten fürs Essen. Drehe Radio auf. Höre Qualtingers unverkennbare Stimme. Während der Herr Karl sudert, wasche ich ab.

Dann tippe ich diesen Text. Von Maja kommt ein SMS. Sie verspätet sich um 10 Minuten. Gott sei Dank. Ich schlage noch schnell Schlagobers. Sag ich‘s doch: Time Management ist meine Stärke.

© Sonja M. Winkler 2020-05-09

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