Philip lass das

Siegfried Czeczelich

von Siegfried Czeczelich

Story

Eine Arztpraxis irgendwo in Wien, das Wartezimmer ist gut besucht, ich mitten drinnen.

Eine Mutter mit ihrem etwa vierjährigen Sohn mir gegenüber. Die Mutter starrt teilweise amüsiert, teilweise fasziniert in ihr Handy, tippt Botschaften hinein und blickt gelegentlich auch zu ihrem Sprössling, der sich sichtlich langweilt. Der Blick der Mutter ist dann immer sehr genervt.

Der Junge versucht sich zu beschäftigen, er nimmt eine Zeitschrift nach der anderen, doch kindergerechte Bilder sind darin nicht zu finden. So blättert er eine Frauenzeitschrift nach der anderen in immer höherem Tempo durch. Die Mutter blickt von ihrem Handy auf und sagt bloß den Satz „Philip lass das!“ Dann widmet sie sich wieder ihrer so wichtigen Beschäftigung. Der Junge überlegt kurz, rollt die Zeitschrift die er gerade in der Hand hat zusammen, so wird diese zur Rakete, er stellt sie auf den Tisch und beginnt mit den Zahlen die er kennt einen etwas seltsam, komischen Countdown zu zählen, um dann die „Rakete“ zu starten! Als die „Rakete“ in der Luft ist, man erahnt es schon „Philip lass das!“

Ich mag es gar nicht im Detail beschreiben, der Junge findet sich andere Beschäftigung, er spielt Doktor und Patient in einem, er funktioniert kleinen Folder Ständer in ein Rennauto um, eine Zimmerpalme aus Kunststoff wird zu Tarzans Baumhaus und noch einiges was ich längst vergessen habe.

Ja natürlich jede Aktivität wird mit „Philip lass das!“ beendet.

Die Patienten im Wartezimmer teilen sich in zwei Lager, die einen die sich sagen was für ein schreckliches Kind, die Mehrheit aber, denkt sich dasselbe von der Mutter.

Irgendwann reicht es mir und ich spreche die Mutter an „Ich möchte mich ja nicht in ihren Erziehungsstill einmischen, aber sie machen etwas total Falsches! Wissen sie, meine Mutter, hat mir als Kind auch immer diesen Satz gesagt. Nur halt Siegfried lass das! An meinem ersten Schultag, wurde ich nach meinem Namen gefragt und ich antwortete „Siegfried lass das!“ Glauben sie mir, später hört das jeder Junge oft genug von den Mädchen. Das wirkt dann nicht mehr weil es schon sehr früh inflationär eingesetzt wurde.

Die Mutter sah mich ziemlich desorientiert an und die anderen Patienten grinsten breit.

Die Mutter ging zum Gegenangriff über und meinte was das solle, wer ich eigentlich meine zu seien.

Ich meinte nur, sie solle Philip einfach beschäftigen und alles wäre gut. Die gute Frau sprach von einer Studie, die besagte, Kinder die sich langweilten würden kreativer und und und.

Ich erwiderte Philip sei eine Ausgeburt an Kreativität, er gäbe nur ein Hindernis, den Satz „Philip lass das!“

So würde er später wohl einer der Menschen werden, der irgendwelchen sinnfreien Medien brauche um sich nicht zu Tode zu langweilen.

Zum Glück wurden die beiden gleich danach zum Doktor gerufen. Die anderen Patienten diskutierten heftig und ich bekam von der Mutter beim Verlasen der Ordination, noch einen Blick zugeworfen, der mich, wäre ich nicht so robust getötet hätte

© Siegfried Czeczelich 2019-12-07