von Mary Modl
Das Wien in den Achtzigerjahren war das Wien meiner absoluten Sturm & Drang-Phase. Es war bunt, laut, multikulti â und zwar aus Ăberzeugung und begrĂŒĂt. Es war damals schon Europa im Sinne dessen, was wir heute darunter verstehen; auch wenn Berlin mehr und mehr versuchte, die groĂe Freiheit, Gleichheit und BrĂŒderlichkeit der Jugend fĂŒr sich zu beanspruchen. Wien jedoch war wirklich frei und befreit. Zumindest nahmen wir es damals so wahr.
Ich hatte meine schulische Laufbahn gerade erfolgreich kurz vor der Matura abgebrochen. Plan B musste in Kraft treten; sprich Anmeldung an der Abendmaturaschule Henriettenplatz im 15. Hieb (Wiener Gemeindebezirk). Gemeinsam mit meiner Freundin Maria, ĂŒbernahm ich die kleine Wohnung meines Cousins in einer Wiener Gegend, der meine Eltern nur mit viel Ăberzeugungskraft zustimmen wollten. In der Waldgasse in Wien Favoriten, beinah an der Ecke zur QuellenstraĂe, direkt gegenĂŒber einem Puff, dessen Rotlicht nĂ€chtens mein Schlafgemach in ein stimmungsvolles Schlafambiente zauberte.
Ich wollte meinen Eltern unbedingt beweisen, dass ich auch auf Umwegen zum Ziel kommen kann. TagsĂŒber jobbte ich in einem biederen DamenmodengeschĂ€ft im U4-Parkhaus. Abends ging ich brav zur Schule. Bereits nach kurzer Zeit hatte sich mein Bekannten- und Freundeskreis vervielfacht. NatĂŒrlich wurde das Wiener Nachtleben â einer NeunzehnjĂ€hrigen wĂŒrdig â auch gebĂŒhrend ausgenĂŒtzt und genossen.
Nach der Abendschule â gegen 21.30 â war es unumgĂ€nglich, noch einen Rutscher zum Quell, einem der bis heute urigsten WirtshĂ€user Wiens, zu machen. BerĂŒhmt fĂŒr die besten Eiernockerl mit Salat ever und dazu ein Quellbrezerl oder Salzstangerl. Und dann â kurz vor Mitternacht â ging es zu FuĂ weiter ins U4; war ja nur einen Katzensprung von nicht einmal 15 Minuten FuĂmarsch entfernt. Dort galt es anfĂ€nglich die Gesichts- und teils auch Gesamtzustandskontrolle des legendĂ€rsten aller Wiener TĂŒrsteher â Conny de Beauclair â zu ĂŒberstehen. Wartezeiten in beinahe Endlosschlangen von mindestens einer Stunde entsprachen der Norm; der Rest, der einen dann dort unten erwartete, wenn man so weit kam, entsprach jedoch keiner Norm. Das U4 funktionierte damals nach der Devise âIn ist, wer drin istâ â und da waren Maria und ich nicht die einzigen Landpomeranzerl, die âdazugehörenâ wollten. Wozu wussten wir selbst nicht so genau. UnabhĂ€ngig davon war die Musik einfach zu gut und dafĂŒr geschaffen, genau an diesem Ort gespielt und gegroovt zu werden. Wenn reingekommen, dann wurde durchgetanzt bis 5 Uhr frĂŒh. Und dann? Ab ins legendĂ€re Drechsler auf den Naschmarkt oder zu den Kammerspielen in die RotenturmstraĂe auf ein FrĂŒhstĂŒck. Da kam es schon vor, dass der eine oder andere 48iger an Stundenvolumen durchgemacht wurde, bis Arbeitsantritt war. Davor gab es eine kurze Gesamtrenovierung des ĂŒbernĂ€chtigen ĂuĂeren und schon ging es weiter. To be continued – was sollâs ⊠wir waren jung!
Ja, Wien war anders! Damals.
© Mary Modl 2019-09-20