Platons Höhlengleichnis

Mittag_wie_Frühstück

von Mittag_wie_Frühstück

Story
Griechenland

Gefangen in einem felsigen Loch. Hand und Bein gefesselt an brüchigen Holzstühlen. Blick zur beleuchteten Wand gerichtet, auf welcher die schwarzen Schatten der Außenwelt tanzten. Lange Zeit vor der Ankunft des Gesegneten fing Sokrates die drei Brüder Zenon, Linos und Lazaros ein, woraufhin Platon sie in den ewigen Abgrund eines altgriechischen Weinkellers verbannte. Schon seitdem die Jungs die Fähigkeit des Atmens erlernt hatten, hockten sie in der steinigen Grube, unwissend von der farbigen Wirklichkeit, die nicht nur aus flachen Bildern besteht. Eines Morgens bemerkte Zenon, als ihm der Traumgott seinem Schlaf entriss, schlagartig, dass Lazaros verschwunden war.
Linos: „Er entleert seine Blase und gibt dem Meeresgott Poseidon etwas Wasser zurück.“
Zenon: „Hätte er nicht auf den Tod warten können? Das Durchschnittsalter fällt ohnehin ziemlich gering aus. Wäre ein Klacks gewesen.“
Linos: „Er kehrt definitiv gleich zurück. Immerhin ist seit der Pause ein Jahrzehnt vergangen.“
Zenon: „Warum hast du mir nichts gesagt!?!“
Linos: „Du beschäftigtest dich lieber mit den Geheimnissen der Schattenwelt, statt aufzustehen und einfach nachzusehen. Lazaros tat es.“
Zenon: „Aber mir sind wortwörtlich die Hände gebunden! Eine Flucht ist unwahrscheinlich.“
Linos: „Dennoch nicht unmöglich. Die Kette, die uns an Ort und Stelle bindet, bildet bloß unseren Willen ab, Neues zu entdecken. Wenn du dich dem Risiko des Verborgenen hingibst, wirst du aus dieser Höhle treten dürfen. Der stramme Strick würde sich unter deinem leichtfüßigen Wahn in Luft auflösen. Trau dich!“
Zenon: „Dann lass uns aus dem Staub machen!“
Linos: „Nur zu. Ja. Geh ruhig! Ich bleibe hier.“
Zenon: „Treibt dich nichts zu Höherem, Linos?“
Linos: „Ich fliege bereits über dem Olymp. Schreitet mein Mut voran, werde ich der Sonne zu nahe, meine Flügel schmelzen und ich stürze ins kalte Wasser. Wieso sollte ich mehr haben wollen, wenn ich mit dem momentanen Bestand zufrieden bin? Das Schattenspiel, das ich vor mir sehe, mag vielleicht ein kleiner Teil der Welt sein und die Welt außerhalb des Kellers ein weiterer. Trotzdem wird mir nie die Offenbarung des kompletten Ganzen zuteil. Ob mir ein Teil weniger vorenthalten wird, interessiert mich nicht; selbst, wenn ich über die Möglichkeit dazu verfüge. Diese Möglichkeit, mich entscheiden zu dürfen, schätze ich als seltenes Privileg. Die Angst vor der Gefahr, eines Tages in einem Schatten auf der Leinwand eines Fremden zu enden, schüchtert mich allzu stark ein.“
Zenon: „Du sprichst zwar von einem Privileg, doch dieses Privileg verweigert dir den geräumigen Platz, an dem es dir sowieso mangelt. Ein mentales Gefängnis in einem physischen. Jeder muss über sich hinauswachsen. Du bist nicht der einzige Mensch. Vor allem dieser Aspekt verschlimmert die Situation. Die Bequemlichkeit des Zurückgebliebenen lindert den Schmerz des Fortschritts. Viele werden geblendet von Licht, dem sie den Rücken zeigen.“
In einem streitenden Augenblick ungeahnter Stille spazierte Lazaros herein und gesellte sich zu seinen erzürnten Kameraden, denen er vor zehn Jahren einen Abschied geschenkt hatte.
Linos: „Ist dein Tauchgang im Klosett beendet?“
Lazaros: „Ne, für die Benutzung der Toilette benötigte ich Kleingeld, welches ich hier vergaß.“
Zenon: „Trotzdem warst du ewig fort von uns.“
Lazaros: „Ich lernte die Schattenseiten der Natur kennen. Krieg. Sklaverei. Ausbeutung. All dies ertrug ich. Als ich von einer Schule hörte, auf der die Kinder ihre Notizen in roten Matheheftern festhielten, erschauderte mich der Wahnsinn der Menschen. Ich flüchtete.“

© Mittag_wie_Frühstück 2024-07-19

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Komisch, Informativ