Plausch belauscht – die Schadenfrische

WORTANGEL

von WORTANGEL

Story

„An meinem Geburtstag waren es am spĂ€ten Nachmittag noch ĂŒber 20 Grad, da hat die Polizei eine Leiche im KĂŒhlschrank gefunden. Nicht in Meinem. Im KĂŒhlschrank der Leiche. Da fragt man sich doch ernsthaft, mit was fĂŒr körpergroßen ElektrogerĂ€ten sich manche Leute umgeben. Die Leiche war noch nicht lange da drin und auch nicht etwa 
, na du weißt schon wie ich das meine. Sechs Tage zuvor spazierte das Model, Maleesa hieß die Arme, noch fröhlich an einer Überwachungskamera vorbei. Da kann man mal sehen, dass Überwachung am Ende auch nicht vor Erfrierung schĂŒtzt. Wie die Schöne geradewegs und ungekĂŒrzt in ihren KĂŒhlschrank kam, darĂŒber diskutiert man in Los Angeles seit Wochen. Von den TĂ€tern fehlt bislang jede Spur, heißt es. FĂŒr meinen KĂŒhlschrank wĂ€re ich, selbst in Faltstellung, zu dick. Gut, ich bin auch kein Model“, plappert die Hibbelige dreimal aufgedreht daher. “Auf Kuchen habe ich jetzt keine Lust mehr. Immer diese Horrormeldungen. Ich hole mir einen Schnaps. Du scheinst ja schon mindestens zwei getrunken zu haben!“, sagt die Graublonde sichtbar genervt von ihrer Freundin. „Was erzĂ€hlst du mir da eigentlich?“, will sie von der Hibbeligen wissen. „Was ist denn heute los mit dir?“ „Im Ernst, das habe ich im Internet gelesen“, nĂ€selt die Hibbelige etwas schief direkt in meine Richtung. Ich sitze heute nĂ€her als sonst an den Beiden und weiß noch nicht, ob ich lieber das Weite suchen soll oder meine Ohren weiter auf Lauschempfang halte. „Das kann ja sein, dass das im Internet steht. Aber warum tust du dir das an! Seit wann interessieren dich solche Geschichten? Warst gerade die grĂ¶ĂŸte Schisserin als dein Bruno nur eine Nacht nicht zu Hause war und dann unerwartet frĂŒh aus dem Schnarchlabor zurĂŒckkam. Da hat dich der Lichtspalt unter der SchlafzimmertĂŒr in Angst und Schrecken versetzt, dass du den armen Bruno beinahe mit der Fliegenklatsche geröstet hĂ€ttest. Und jetzt verdirbst du uns den CafĂ©klatsch mit so einer Story, die dir das Internet auf dein Handy gespuckt hat.“ „Komm schon. Ich bestelle mir das letzte StĂŒck vom Eierlikörkuchen mit Knusperhaube. Du kannst ja den RĂŒblikuchen mit Orangenlikör nehmen.“ „Okay, aber nur wenn wir das Thema wechseln.“ „Noch ganz kurz. Wie geht so was? Nur weil sie Alkohol und Kokain im Blut hatte, musste man das arme Top-Model doch nicht gleich in den KĂŒhlschrank verfrachten. Ganz bestimmt lag die mit jemandem aus dem Drogenmilieu oder mit der Agenturmafia im Clinch.“ Die Hibbelige griffelt nach ihrem Handy. „Guck mal hier, eine brandneue Meldung. Die Polizei hat eine Frau festgenommen. Olga T., eine ehemalige Kugelstoßerin, die sich immer um die beiden Katzen des Models gekĂŒmmert hat, wird wegen Mordverdacht vorlĂ€ufig festgenommen. Das musste ja so kommen! Da vertraust du einer hilfsbereiten Frau deine Lieblinge an und dann gehst du in die KĂŒhlung.“ „Meine Liebe, mach noch, was du willst, ich gehe jetzt nach Hause und trinke einen Beruhigungstee. Und ĂŒbrigens, bei der albernen Aufschrift auf deinem T-Shirt, hĂ€tte ich mir eigentlich denken können, dass das heute mit uns beiden aus dem Ruder lĂ€uft. SCHULD SIND IMMER DIE BETROFFENEN“, grummelt die Graublonde und geht.

Hier steckt ein bisschen aus Elias Canetti, „Der Schadenfrische“ drin.

© WORTANGEL 2023-10-30

Genres
Romane & ErzÀhlungen, Humor& Satire
Stimmung
Dunkel, Emotional, Komisch, Angespannt