von WORTANGEL
Saftiger Heidelbeerkuchen mit Eierlikörguss steht mit Kreide auf der Tafel vor meinem LieblingscafĂ©. Im GĂ€rtchen dahinter leuchten blassrote Kletterrosen an der Wand und auf Holztischen stehen Lavendeltöpfchen. Ich gönne mir jetzt den saftigen Kuchen mit einer groĂen Portion Sahne, atme durch und genieĂe die Ruhe.
Die beiden Plaudertaschen sind heute nicht da. Stimmt nicht – ich höre sie durchs CafĂ© plappern und geradewegs in den Garten traben. Direkt neben mir nehmen sie gerĂ€uschvoll Tisch und StĂŒhle in Beschlag. Ruhe ade. Aber was soll`s. Irgendwie mag ich die Beiden in der Zwischenzeit schon ein bisschen. Die bieten mehr Unterhaltung als jedes gelbe Blattwerk aus dem ZeitungsstĂ€nder.
âWas ist mit dir los? Du bist ja ganz in pink. So kenne ich dich gar nicht. Steckt da etwa dein letztes Date dahinter?â, will die Kringelige von der Graublonden wissen. âErinnere mich nicht daran und reden wir lieber ĂŒber was anderes.â
Punktlandung. Date. Das verspricht spannend zu werden. Meine Ohren stehen so hoch wie der aufgesprĂŒhte Sahneturm neben meinem Blaubeerkuchen.
âStell dir vor, gestern war ich in REIZ DER FANTASIE, du weiĂt schon, mein Kunstkurs. Und die mit der Endlosstiftsammlung hat mal wieder den Vogel abgeschossen. Ihr skurriler Auftritt begann damit, dass sie den Raum betrat, als wir alle die Pinsel in der Hand hatten und ihrer Solodarbietung nicht entkommen konnten. Sie war blau.â
âWie, blau?â, fragte die Kringelige.
âVon Kopf bis FuĂ blau. Blau in allen Tönen. Himmelblau, dunkelblau, graublau, tĂŒrkis – Brille, Tuch, T-Shirt, Jacke, Hose, Schuhe, Tasche, Schmuck und sogar die Socken. Mir kam sofort das Lied I am Blue von Eiffel 65 in Erinnerung, âI have a blue house with a blue window / Blue is the colour of all that I wear / Blue are the streets and all the trees are too / I have a girlfriend and she is so blueâ, das kreiste dann den ganzen Kurs lang wie ein Ohrwurm durch meinen Kopf. Erinnerst du dich noch an das Lied?â
âKlar, Sommer 99, da waren wir noch jung.“
Oh, das hÀtte ich der Kringeligen gar nicht zugetraut.
Die Graublonde war im Redefluss. âWir sollten dynamische Posen malen. Und weiĂe du was am Ende der Malstunde vor mir lag? Lauter kleine, blaue MĂ€nnchen auf meiner Leinwand.â
âImmerhin, Thema erfĂŒllt. Aber was war nun mit deinem Date?â, das lĂ€sst der Kringeligen dann doch keine Ruhe. âLegen wir den Mantel des Schweigens darĂŒber.â, die Graublonde nippt an ihrem Cappuccino und hat danach einen zarten Milchstreifen am Damenbart, der sich ganz langsam auf den Oberlippenfalten verteilt.
Das ist mal wieder typisch, auf meiner blĂŒtenweiĂen Sommerhose kleben zwei Heidelbeeren. Foto/Datenbank/story.one
© WORTANGEL 2023-05-31