Please Mr. Postman

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Ich steige aus der Liftkabine und sehe ihn im Eingangsbereich vor den Postfächern stehen. Mit einer geübten Handbewegung schiebt er Zeitungen und Briefe flink durch die schmalen Schlitze.

Es ist ein warmer Herbsttag. Er trägt ein knallgelbes Hemd, mit schwarz aufgedruckten Postsymbolen. Neue Dienstkleidung?, frag ich. Reines Plastik, sagt er, schrecklich. Früher hat die Post noch Baumwollhemden herausgerückt. Jetzt muss alles funktional sein und praxistauglich. Er drückt mir zwei Postsendungen in die Hand, das Programm fürs Votivkino und fürs Radiokulturhaus.

Mein Briefträger ist ein attraktiver Mann. Sportliche Figur. Graumeliertes Haar. Mitte fünfzig. Und heute scheint er’s überhaupt nicht eilig zu haben.

Geht Ihnen das Unterrichten ab?, fragt er mich. Die Schule als Arbeitsplatz überhaupt nicht, sag ich, aber die Weitergabe an Wissen schon.

Über die Jahre hat sich immer wieder ein Gespräch mit ihm ergeben, ein zwangloser Wortwechsel über dies und jenes. Die Unterhaltung ist meist kurz, doch nie belanglos. So gewann ich einen gewissen Eindruck, nämlich, dass mein Briefträger ein rundum gebildeter Mann sein muss.

Wenn er den Postwagen durch meine Wohngegend schiebt, winkt er mir schon von weitem zu. Seine Sprache hat einen oberösterreichischen Einschlag, ziemlich auffallend, weshalb ich ihn im ersten Corona-Jahr daraufhin ansprach. Da sagte er so mir nichts, dir nichts, er komme aus dem Mühlviertel und habe an der Johannes-Kepler-Universität in Linz studiert, später in Wien, Volkswirtschaft. Ich habe mich also nicht getäuscht. Mein Briefträger ist Akademiker und hat somit einen Bildungsgrad, der viel höher ist, als es für die Ausübung seines Berufes nötig wäre.

Auch heute spinnt sich unser Gesprächsfaden wie von selbst fort. Corona, Krieg, Flüchtlinge. Mit seinem Vater habe er Russland bereist, sagt er, auch Aserbaidschan und Georgien. Was für ein wunderschönes Land, schwärmt er, eine Schatzgrube. Und hat die älteste Weinkultur der Welt. Ich weiß, sag ich, meine Schwiegertochter stammt aus Georgien.

Aber was erzähl ich ihm da. Mein Briefträger hat schließlich die eine oder andere Ansichtskarte aus Tiflis zugestellt.

Ein Freund von mir, sag ich, Hobby-Winzer, unternahm vor Jahren eine Reise nach Georgien und kehrte mit einer Quevri zurück, einer irdenen Amphore, in der Wein gelagert wird. Stellen Sie sich vor, sag ich, was für ein Zufall, denn gleich nachdem ich das Wort „Quevri“ gelernt hatte, begegnete mein Sohn seiner jetzigen Frau.

Mein Briefträger lächelt.

Als er weiterzieht, kommen mir Filme in den Sinn, mit „Briefträger“ oder „Postbote“ im Titel. Keiner kommt jedoch an „Il Postino“ heran. Und plötzlich tauchen Bilder auf. Ich seh mich im Kino sitzen und vor lauter Rührung weinen, damals, als sich zwischen Neruda, dem chilenischen Schriftsteller im Exil, und dem schüchternen Briefträger Mario, eine tiefe Freundschaft entwickelt.

© Sonja M. Winkler 2022-11-04

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