Plötzlich bin ich richtig single. Nicht einfach nur nicht in einer Beziehung, aber hoffnungslos verliebt, sondern einfach nur single. Ohne Ass im Ărmel. Ohne Nummer im Handy und dem magischen Verlangen, sie nach dem ersten Glas Wein zu wĂ€hlen. Ohne heimlichem Schwarm, dem ich hoffe, rein zufĂ€llig ĂŒber den Weg zu laufen. Einfach nur ich. Und ich, die ich glaubte, ganz ich selbst zu sein, erkenne jetzt, wie viel Meinung von anderen, wie viel Gefallenwollen die ganze Zeit mitschwang. Wie viel Unechtes ich bei mir trug.
Ich schlĂŒpfe in meine Lieblings-Lederjacke, verstecke mich hinter einer viel zu groĂen Sonnenbrille und gehe auf ein erstes Date mit mir selbst. Ich setze mich in ein Alt-Wiener Kaffeehaus und schreibe zum ersten Mal nicht ĂŒber den Mann, den ich treffe, sondern ĂŒber mich, zum ersten Mal nicht ĂŒber die Liebe zu ihm, sondern ĂŒber die zu mir. Und stelle fest, wie ignorant ich mir selbst gegenĂŒber in den letzten Jahren durchs Leben gegangen bin.
Am Ende des Tages sitze ich vor einer langen Liste an Momenten, in denen ich mir selbst untreu war, in denen ich Dinge tat oder nicht tat, sagte oder nicht sagte, um ihm zu gefallen oder ihn zumindest nicht zu verlieren.
Ich, die ich glaubte, stets fĂŒr meine Meinung einzustehen, habe mich durch ganze Konflikte hindurch geschwiegen. Der Harmonie zuliebe. Ich habe mich verstellt und mindestens ein Dutzend Mal verraten. Und diese Erkenntnis brennt sich wie ein glĂŒhendes Eisen in mein Herz. Zum ersten Mal verletzt mich, nicht dass ein Mann nicht zu mir stand, sondern, dass ich nicht zu mir selbst stand. Und zum ersten Mal tut es wirklich weh. Zum ersten Mal habe ich ein ehrlich schlechtes Gewissen mir selbst gegenĂŒber. Zum ersten Mal ziehe ich keine Linie unter eine alte Liebesgeschichte, sondern ich ziehe eine Linie unter mein altes Ich. Ich verspreche mir einen Neuanfang.
Mit diesem Versprechen in meinem Geldbeutel, das ich von nun an immer wieder herausziehe, wenn ich mich kurz von mir entferne, verbringe ich einen wunderbaren Sommer â ganz ohne Dates, ganz single. Und als sich der Sommer langsam davonstiehlt und ich in die Stadt zurĂŒckkehre, bin ich trotzdem verliebt. Nicht in Kai oder David â aber endlich in mich.
© Marie-Theres Muxel 2020-08-13