Nervös stand ich da und wurde von 20 Kinderaugenpaaren erwartungsvoll angeblickt. Die am Boden pickenden Hühner beachteten mich nicht. Ich sollte endlich anfangen. Ich nahm die Kreide zur Hand und malte einen unförmigen Kreis auf die Tafel. Daneben schrieb ich „cell“. Gut soweit. Ich drehte mich zu meinen Zuschauern um und sah nur verständnislose Blicke.
Gini hatte so sehr von ihrer Arbeit in der Primary School von Gomoa Obuasi geschwärmt, dass ich ganz neidisch wurde. Sie erzählte, wie sie den Kindern einfache, englische Sätze beibrachte und mit ihnen malte oder bastelte. Meine Arbeit in der Dorfclinic war meist gegen Mittag beendet und es gab im Dorf keine Möglichkeiten für großartige Unternehmungen, weshalb ich kurzerhand bei meiner Organisation anfragte, ob ich nicht an Nachmittagen unterrichten könnte. Etwas Einfaches. Nur ein paar wenige Stunden. Ja, könnte ich, haben sie gesagt. Science in der Secondary School, haben sie gesagt. Klingt nicht nach Malen und Basteln, aber ich mag ja Herausforderungen. Meine Unterweisung als unerfahrene Pädagogin ohne Ausbildung bestand darin, mir ein Lehrbuch in die Hand zu drücken und mir mitzuteilen, welche Kapitel gerade dran waren.
Am Anfang des Schultages versammelten sich alle Kinder der Secondary School vor dem Schulgebäude. Stramm standen sie in ihren süßen Schuluniformen in Reih und Glied und es wurde ein Gebet gesprochen. Nachdem lautstark Gott gehuldigt worden war, rief die Direktorin einige Namen auf. Die angesprochenen Kinder gingen mit gesenktem Kopf nach vorne zur Direktorin, wo sie sich in einer Reihe nebeneinander aufstellten. Gespannt beobachtete ich, was da passierte. Die Kinder hielten der streng drein blickenden Frau die Handflächen hin. Die Direktorin nahm den dünnen Stock, der neben ihr am Tisch gelegen hatte, ging durch die Reihe und schlug jedem Kind mehrmals kräftig mit dem Stock auf die Handfläche. Erschrocken schnappte ich nach Luft. O Gott, die werden ja geschlagen! Nach dem morgendlichen Gebet wurden vor den Augen aller einzelne Kinder herausgepickt und geschlagen und damit auch ein Stück gedemütigt! Warum? Ich fragte einen der Lehrer nach dem Grund. „Wenn die Kinder unfolgsam sind, dann werden sie am darauf folgenden Tag gezüchtigt. Also zum Beispiel, wenn sie das Schulgeld oder Hausaufgaben vergessen.“. Ich schluckte schwer. Die armen Kinder.
Danach wurde ich in einem Nebengebäude meiner Schulklasse vorgestellt. Und nun war ich hier, völlig auf mich allein gestellt, und sollte Kindern mit kaum vorhandenen Englischkenntnissen beibringen, was eine Zelle ist und wie sie aufgebaut ist. Englisch war eigentlich Landessprache, aber viele sprachen nur ein paar Wörter englisch. In der Primary School wurde ihnen ein bisschen Englisch beigebracht, aber außerhalb der Schule wurde nur Twi gesprochen. Wie es schien, würde ich hier einiges an Kreativität brauchen, um meinen Job gutzumachen.
© Melly Schaffenrath 2022-08-12