Wir schrieben das Jahr 1981. Das Frühjahrssemester der Volkshochschule hatte ich verpasst. Es schien mir noch genug Zeit zu sein. Kurz vor Beendigung der 9. Klasse hatte ich in der Wohnung meiner Mutter erste Schreibmaschinenstunden, in den Ferien autodidaktische Versuche. Ich kam nicht voran. Es hatte einfach ausgesehen. Ich erkannte, dem war nicht so – aller Anfang ist schwer. In der DDR war es fast ein Unding, eine halbwegs brauchbare Schreibmaschine aufzutreiben. Das französische Modell JAPY aus den 1940er Jahren ließ sich besonders schwer bedienen. Der zweite Mann meiner Mutter hatte das gute Stück auf dem Speicher eines Textilbetriebes gefunden. Mit dem Handwagen fuhr ich die Maschine in unsere Wohnung. Eine harte Schule, ohne sie hätte ich nichts von dem, was auf den nächsten Seiten steht, erlebt. In den Sommerferien habe ich erstmalig Geld verdient (Schülerarbeit in einem Materiallager bzw. in einer Betriebskantine).
Seit einigen Tagen war ich in der alles entscheidenden Abschlussklasse. Meine Berufsentscheidung stand fest. Die Würfel waren gefallen beim Abwägen zwischen Wirtschaftskaufmann und Facharbeiter für Schreibtechnik – eine Entscheidung gegen Rechnungsführung, Statistik, Wirtschaftsmathematik, für Stenografie, obwohl ich mir darunter nichts vorstellen konnte. Hauptsache, ich durfte Maschinenschreiben lernen, der Rest war nicht so wichtig.
Ich bin am 25.8.81 zur Anmeldung für den Lehrgang recht unsicheren Schrittes gegangen – mit dem Gedanken, hoffentlich wirst du überhaupt angenommen, Volkshochschule ist etwas für Erwachsene; ich war erst 16. Der Kurs startete kurz nach Schuljahresbeginn im September 1981 in der ehemaligen gewerblichen Berufsschule. Ich war nicht die einzige Schülerin einer 10. Klasse, auf alle Fälle war ein Mädchen aus der Sahnschule dabei. Man nennt die VHS auch Abendschule; der gut besuchte Unterricht begann montags nach einem langen Schultag mit anschließender Arbeitsgemeinschaft nach Rahmenprogramm 18:00 und dauerte bis 20.30 Uhr. Je eine Doppelstunde versuchte der Dozent uns Grundbegriffe des Tatschreibens (10-Finger-Blindschreiben) beizubringen. Mühevoll auf beiden Seiten! Ich kannte ihn bereits seit der 5. Klasse, er war bis zum Schluss unser Biolehrer. Ursprünglich hatte er Industriekaufmann gelernt und beherrschte dadurch auch das Maschinenschreiben. Manchmal fragte er mich, wo er in unserer Klasse in Bio stehen geblieben war. Oder er sagte: „Morgen schreiben wir eine Arbeit.“ Vielleicht war von Vorteil, dass ich den vorhergehenden Kurs versäumte. Daran nahmen Mitschülerinnen teil, evtl. wäre negativ diskutiert worden. Glanzzeiten erlebte ich in diesem halben Jahr solider Ausbildung nicht gerade. Viele Leistungskontrollen und Tippfehler, jede Woche Hausaufgaben. Anders ist das Fach nicht zu erlernen, es erfordert ständiges Üben. Eine Nachbarin lieh uns einen Versandhauskatalog. Auch Schreibmaschinen waren abgebildet, in der DDR leider nicht zu bestellen. Sogar Spielzeugschreibmaschinen gab es. Ich musste auf der JAPY üben, sehe mich noch sitzen. Mehr als einmal wollte ich aufhören. Es war schwer, ohne Blickkontakt zu den Tasten fehlerfrei zu schreiben.
© Annemarie Baumgarten 2024-03-18