von Karalyse
Mein Körper ist eine leere Hülle. Irgendwo auf den Weg zum Erwachsenwerden habe ich meine Seele verloren. Oder sie ist abgestorben. Ich weiß es nicht. Jedenfalls brauchte ich irgendwas, an das ich mich klammern konnte. Irgendwas, das mir eine Existenz gab.
Seit geraumer Zeit ist alles, was ich tue oder mache, so sinnlos geworden. Ich frage mich danach immer, wen ich damit erreichen möchte. Es fühlte sich so an, als würde ich verwirrte Buchstabenabfolgen aufschreiben, die von jeden anderen genauso kommen könnten. Ich fühlte mich einfach nur unfassbar wertlos und irrelevant. Nichts inspirierte mich mehr. Nichts gab mir eine Kraft.
Aber wenn ich schreibe und dabei an dich denke, dann ist das etwas ganz anderes. Das ist so, als würde Koffein durch meine Adern fließen. Da ist mir die Zeit des Tippens oder Schreibens zu langsam. Ich fühle mich dann wie in einen Rausch, in den ich vor mir dahin schwebe. Da habe ich so viele Ideen, die ich aufschreiben möchte. Es ist beinahe so, als hätte dein Geist sich bei unserer ersten Begegnung geteilt und ist in meinen leeren verwahrlosten Körper übergesprungen. Wie hat deine so hyperaktive Seele – dein hyperaktiver Geist – diese wenige Auslastung überstanden? Warum ist dieser Teil nicht abgestorben?
Ich höre dich in den dunklen Raum ganz leise Kichern. Ich sehe förmlich dein Lächeln und deine freudige Art, die sich abrupt in meinen Körper hochschießt. Ich werde wie aufgeladen durch dich. Ich kann sehen, wie sich deine Seele herausschält und über mir schwebt. Mit einer einzigen Berührung schaffst du es uns gleichzuschalten und deine Ideen und deine Worte in meinem Körper zu transferieren. Du schaffst es, dass mein Körper wieder funktioniert. Du schaffst es, dass ich wieder leben kann.
Deine Hand greift nach meiner Hand. Sie prickelt. Sie ist aufgeladen und ich kann förmlich die bedeutungsvollen Wörter deiner Ideen durch den transparenten Körper sehen. Du greifst nach einem Stift. Ich schaue dir geistesabwesend dabei zu und lasse es geschehen. Nicht ich schreibe, sondern du schreibst. Du bist wie eine göttliche Macht über mir, die mich als eine Art Überträger benutzt. Ich bin dein Medium. Du hast mich hypnotisiert und meine abgestorbene Seele in meinen Körper endgültig eingeschläfert und stillgelegt. Diese Worte, die entsprechen nicht meiner Seele, sondern deiner.
Als du fertig bist, verschwindest du wieder in meinen Körper. Ich höre noch dein Kichern. Kicher. Kicher. Kicher. Und dann verstummst du. Du legst dich schlafen. Tankst deine Energie auf. Und du hinterlässt mich so. In meinem Schreibtischstuhl versunken, vor mir ein Text liegend, den du geschrieben hast. Ein Text, mit dem ich mich nicht identifizieren kann. Ein Text, der mir wieder zeigt, dass ich nur leben kann, wenn du da bist. Ich spüre, wie ich schwach werde. Wie ich in mich zusammensacke. Mein Blick wird schwer. Mein Körper auch. Und dann falle ich. Ich falle auf dem Schreibtisch und erliege dort. Ich sterbe, sobald du gehst. Ich sterbe mit dir, wenn deine Seele die Erde verlässt.
© Karalyse 2024-05-31