von Stefanie Höring
Ich bin etwa neun Jahre alt und nach der Schule bei K. zum Mittagessen eingeladen. Es gibt Schnitzel und Pommes. K. hat keine gute Note auf eine Schularbeit mit nach Hause gebracht. Ihre Mutter ist sauer. K. säbelt kleine Stücke von ihrem Schnitzel ab. Ihre Mundwinkel hängen nach unten, als hätten sie genug von dem Tag. Ich nehme zwei Pommes auf einmal, tunke sie in ordentlich Ketchup und sehe verstohlen zu K. hinüber. Tröstende Worte möchte ich ihr zuflüstern, aber mein Mund bleibt verschlossen, die Pommesaufnahme ausgenommen.
Als ich das nächste Mal zu K. rübersehe, die Mutter ist gerade aufgestanden, da sehe ich Tränen in K.s Augen. Erst schüchtern, dann trommeln sie plätschernd mitten auf die Pommes.
Ich bin nicht getauft. Meine Erzeuger*innen sagen, ich soll mir meine Religion mal selbst aussuchen, wenn ich alt und groß genug bin. Ab welchem Alter und ab welcher Größe ist man das eigentlich? Viel später erfahre ich, dass eine Religion aussuchen bei meinen Eltern bedeutet, sich ihre, nämlich keine, auszusuchen. Auch gut.
In der Volksschule gehe ich freiwillig in Religion. Frau B. lässt uns in jeder Stunde malen. Ich male überall ein Pferd mit dazu. Jesus am Kreuz? Zack, daneben ein weißes Pony. Jesus verwandelt Wasser in Wein? Unmöglich ohne Pferd. Das letzte Abendmahl? Ein braunes Pony mit verräterischer Miene neben Judas. Frau B. erstellt mir ein extra Zeugnis. Die mag ich sehr, sie ist immer braun gebrannt und bringt so das Urlaubsflair ganzjährig mit in die Klasse.
Meine Nachbarin, C., ist drei Jahre älter als ich. Also darf ich in noch jungen Jahren in die Kirche und bei ihrer Erstkommunion dabei sein. Kirchen bin ich nicht gewohnt, dabei arbeitet mein Papa oft in einer. Er klettert da auf Gerüsten in schwindelerregender Höhe herum. Auf einem Bild ist Gott mit der Weltkugel abgebildet, die er ganz lässig im Arm hält.
„Schau mal, der hat einen Torball!“, schreie ich stolz mitten in die Stille rein. Man sieht es mir nach, ich bin ja (noch) ein Kind.
Drei Jahre später bin ich dran. Das heißt nein, o.r.B. bedeutet nicht nur ohne Bekenntnis, sondern auch o.r.K., ohne Kommunion, und ergo o.r.G., ohne Geschenke. Das finde ich so unfair, dass meine Eltern eine private Erstkommunionsfeier für mich veranstalten. Ich darf mir das Essen wünschen, natürlich gibt es „SchniPoSa“, was für nichts Geringeres als Schnitzel, Pommes und Salat steht. Wir essen und ich habe ein Programm gemalt. Ich singe alle Lieder aus dem Religionsunterricht: Danke!, Alle, alle, alle singen Halleluja oder Deinen Tod, o Herr, verkünden wir. Meine Eltern haben sogar eine richtige Erstkommunionskerze besorgt, mit weißen und lila Blümchen, es gibt Geschenke und für mich ist es feierlicher, als eine Kirche es je sein könnte.
In einer Schule, an der ich heute arbeite, gibt es tatsächlich Pommes am Schulbuffet. Transfette to go.
© Stefanie Höring 2022-08-10