Positiv denken

Annika Meyer

von Annika Meyer

Story

Ich hatte den Schwangerschaftstest ans andere Ende des Raumes gelegt, damit ich ihn nicht ständig im Blick hatte. Und was tat ich jetzt? Ich saß auf dem Sofa und starrte auf dieses weiße Stäbchen, dass im Regal lag. Egal, was ich tat: Ich konnte meinen Blick nicht davon abwenden. Ich hatte versucht aufzuräumen, Essen zu machen, zu lesen oder wenigstens der Musik zuzuhören. Nichts hatte funktioniert. Ich hatte andauernd meinen Blick zum Test wandern lassen und mein Herzschlag hatte sich jedes Mal beschleunigt. Und nun saß ich hier: Eingewickelt in meiner Lieblingsdecke, nicht fähig aufzustehen, obwohl die fünf Minuten seit Testdurchführung schon längst vergangen waren.

Alles, was ich sehen wollte, waren zwei kleine Striche auf dem Test. Ein ganz einfacher Wunsch. Und dennoch wollte er einfach nicht wahr werden. Meine Gedanken schweiften zu dem Mädchen mit den tiefen Augenringen im Laden, das vor mir in der Schlange gestanden hatte. Ob sie wohl auf das gleiche Testergebnis hoffte wie ich? Ich bezweifelte es. Und das brachte meine Lippe wieder zum Beben. Wieso war es so unfair? Wieso wurde ich nicht dafür ausgewählt?

Was, wenn er wieder negativ war? Ich wusste ganz genau, was ich mit Alex besprochen hatte. Wir mussten nach vorne schauen, weitermachen, glücklich werden. Wenn die Oberen beschlossen hatten, dass ich keine Kinder bekommen sollte, dann war es eben so. Meine Lippe bebte erneut. Aber wie sollte ich glücklich werden? Wie?

Ich legte meinen Kopf auf meine angezogenen Knie und schloss die Augen. Ich musste ruhig bleiben. Vielleicht war er positiv. Vielleicht war heute der Tag, auf den wir schon immer gewartet hatten. Positiv denken. Das hatte ich mir früher immer gesagt. Hatte es da nicht immer funktioniert?

»Okay du gehst jetzt darüber und schaust ihn dir an. Es wird schon werden.« Meine Stimme hallte in dem leeren Raum. Ich riss mir die Decke herunter, stand auf und machte einen Schritt. Positiv denken. Beim zweiten Schritt, fühlte ich ein Gefühl, dass sich über meine Niedergeschlagenheit legte. Was, wenn es nun tatsächlich der Tag der Tage wäre? Ich würde Alex ein tolles Abendessen machen. Nur wir zwei, in dem Wissen, dass wir bald zu dritt wären. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen und ich wischte mir die Tränen von den Wangen. Vielleicht brachte das positive Denken ja wirklich was. Vielleicht hatten die Oberen ihre Meinung über mich geändert.

Und so malte ich mir mit jedem Schritt zur Kommode eine noch schönere Zukunft aus. Ein Schritt. Ich könnte Babyklamotten kaufen. Ein Schritt. Das Kind würde anfangen zu krabbeln. Ein Schritt. Es würde sprechen lernen. Ein Schritt. Und Freunde finden. Ich war an der Kommode angelangt und nahm den Test in die Hand. Unser Kind würde zur Schule gehen, einen Freund finden, heiraten, selbst Kinder bekommen.

Ich schloss meine Augen…

In Gedanken war ich noch immer bei meinem Kind und der Zukunft, die ich mir ausmalte. Es war eine wundervolle Vorstellung.

… und drehte den Test um.

© Annika Meyer 2022-08-17

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