Prinzenrolle

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Was wäre, wenn … und falls ich hätte, Perlen- oder Fahrradkette.

Mitte der 1980er-Jahre, ich bin Lehrbeauftragte, jung, noch keine dreißig. In so manchem meiner Proseminare saßen Studenten, die später das Germanistik-Studium abbrachen und anderweitig Karriere machten, wie z. B. Josef Hader.

Ich sehe ihn im Hörsaal sitzen. Der Platz neben ihm blieb immer frei. Sein Blick schweifte aus dem Fenster. Er kaute an einem Bleistift und schien mit den Gedanken woanders zu sein.

Ein anderer Student war Hary Prinz, der sich damals noch Harald nannte. Sein Interesse an mittelhochdeutscher Grammatik hielt sich in Grenzen, dennoch erregte er meine Aufmerksamkeit, nicht nur wegen seines Familiennamens, sondern weil er mir einmal am Ende des Proseminars eine Einladung zu einem seiner Kabarett-Auftritte überreichte. Obwohl ich der Einladung nicht nachkam, wiederholte er hartnäckig diese Geste, die ich überging, aber nicht aus Desinteresse. Ich hätte mich gerne amüsiert. Ich war jedoch alleinerziehend und solcherlei Vergnügungen rangierten unter ferner liefen. Außerdem wäre ich überfordert gewesen, auf die Schnelle einen Babysitter aus dem Ärmel zu schütteln. Es dauerte, bis ich die Hilfe einer Leihoma in Anspruch nahm.

So vergehen Jahre. 2001 besuchte ich mit einer Freundin ein Horvath-Stück der Gruppe 80. Auf der Besetzungsliste lese ich den Namen Hary Prinz. Als er die Bühne betritt, fasse ich einen Entschluss.

In den darauffolgenden Tagen krame ich in meinen Aufzeichnungen, durchforste die alten Briefe, die gebündelt und nach Jahren geordnet in einer Schachtel im Keller liegen. Ich finde sie, seine schön gestalteten Billets, allesamt mit ein paar persönlichen, handgeschriebenen Worten.

Ich setze einen Brief auf. Und die Worte fließen nur so aus meiner Feder. Ich beglückwünsche ihn zu der Karriere, die er gemacht hat, beteuere, dass ich mich jedes Mal freue, ihn in einem Fernsehfilm zu sehen, wenn er als Kommissar in einem Mordfall ermittelt. Ich verkneife mir die Bemerkung, dass er sich in dieser Rolle ziemlich oft eine Zigarette anzündet, was mir missfällt, aber das geht mich nichts an. Ich komme darauf zu sprechen, dass es mir leidtut, nicht Zeugin gewesen zu sein von seinem Bühnendebüt, seinen ersten Versuchen in der Kleinkunst. Ich erkläre ihm meine damalige Situation. Zum Schluss wünsche ihm von Herzen alles erdenklich Gute und weiterhin viel Erfolg. Ich schicke den Brief an das Theater in der Gumpendorferstraße, zuhanden von H. Prinz.

Es vergehen keine 14 Tage, da erhalte ich eine Antwort, handgeschrieben und sehr persönlich. Absender Hary Prinz. Natürlich kann er sich erinnern. Sein Schreiben, ein Brückenschlag vom Damals zum Heute, löst Freude in mir aus.

Und ich bin mir sicher. Begegnungen enthalten ein Stück mögliche Zukunft. Wir sind es, die die Weichen stellen. Und es gibt immer Gründe, weshalb wir dies oder jenes tun oder lassen. Uns für Perlen- oder Fahrradkette entscheiden.

© Sonja M. Winkler 2020-11-19

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