von renate schiansky
Mein Enkel, der Patrick, hat uns heute in die Stadt eingeladen. Zuerst gehen wir in den escape room, hat er gesagt, und dann zum Demel auf Kaffee und Kuchen. Na was soll ich dir sagen: Wir stehen da, die Gerti und ich, und wer taucht nicht auf? Mein Enkel! Die Gerti wollt schon wieder heimgehen, aber ich habe gesagt, nix da, wir werden doch nicht die teuren Karten verfallen lassen! Wir gehen da jetzt rein und schauen uns das an!
Ein junger Mann hat uns unterschreiben lassen, dass wir ihn nicht verklagen, wenn wir einen Herzinfarkt kriegen, und dann ist er mit uns in so eine dunkle Kammer hinein. Das muss so sein, meint er, hier wäre nämlich ein verwunschenes Schloss. Aber wenn wir ein paar Hinweise finden und ein paar Rätsel lösen, dann könnten wir die Prinzessin erlösen. Und weg ist er. Also suchen wir. Hinter Möbeln, auf Schränken, unter Vasen – nichts. Die Gerti hat geseufzt und sich verzweifelt gegen die Wand gelehnt. Rums! geht der Sekretär auf! Drinnen ein paar Holzstäbe. Na toll. Was sollen wir damit? Mikado spielen? Wir haben gesucht und gesucht, aber da war nichts, wo man die Stäbe hätte einstecken können. Die Gerti war schon leicht grantig und hat mit den Stäben auf alles Mögliche eingestochen. „Lass das!“ hab ich gesagt, „schau, die Alte da auf dem Bild, die schaut schon ganz böse!“ Da hat ihr die Gerti zwei der Stangen in die Augen gestoĂźen! „Die braucht gar nicht schauen!“ hat sie gebrummt – da ist das Bild zur Seite gefahren, und darunter war hinter einem schwarzen Gitter ein dickes Buch eingesperrt. Daneben ein Schild mit einer ewig langen Formel und ein paar Tasten daneben. Ich hab nur Bahnhof verstanden, aber die Gerti war frĂĽher Mathe – Professorin. Die hat ein wenig an den Tasten gedrĂĽckt, und schon war das Gitter weg. Wohin jetzt mit dem Buch? „Da drĂĽben ins Regal“, sagt die Gerti, und hoppla! Da steht doch etwas drauf auf den BuchrĂĽcken: TA-TA–POR–BER–LI–TIS. Ha! „Porta Libertatis“! Den Spruch hatten wir damals innen an die SchultĂĽre geklebt! Also hab ich die BĂĽcher umarrangiert, das Regal geht auf wie eine TĂĽre, und wir schauten in einen zweiten Raum. Auch zappenduster, nur zwei falsche Kerzen auf einem alten Klavier, und im Kamin ein falsches Feuer. Vor dem Kamin sind zwei groĂźe LehnstĂĽhle gestanden. „Da setzten wir uns jetzt hin!“ hab ich gesagt, „und warten. Irgendwann holen die uns schon hier heraus!“ Ich hab mir den Stuhl zurechtgerĂĽckt – da seh´ ich drunter 2 MĂĽnzen. Ich will sie schon einstecken, da merke ich, es ist nur Spielgeld. Kann ich nicht brauchen. „Gib sie da rein“, meint die Gerti und deutet auf eine BlechbĂĽchse am Kaminsims. Und kaum waren die MĂĽnzen in der BĂĽchse, fängt das Klavier an zu spielen! Beethovens 9. Schön! Hab ich mich hingesetzt und ein bisserl mitgespielt! „Freude, schöner …“ usw. Gesungen hab ich lieber nicht.
Na und was soll ich dir sagen: nach dem 3. Takt schwebt ein Bildschirm von der Decke und eine blonde Prinzessin bedankt sich tausendmal fĂĽr ihre Rettung; wir dĂĽrften uns jetzt an der Bar eine Erinnerungsmedaille abholen. Und schon stehen wir im Neonlicht am Korridor. Schade, eigentlich. Aber jetzt gehen wir zum Demel, das haben wir uns verdient! Und mein Enkel, der Patrick, der kann was erleben, wenn ich ihn wieder sehe!
Foto: freowynart
© renate schiansky 2024-10-05