von Emma Arafta
Gesten sind vergänglich, denke ich mir, während mir die hübsche Bedienung zuwinkt, weil mein Gingerbread Latte schon abholbereit an der Theke steht. „Emma“. Ja, vielleicht hat hier mal jemand zaghaft versucht, meine frierenden Hände zu wärmen, oder mich teilnahmslos ignoriert, als ich zu ihm ins Zugabteil gestiegen bin und ihn nicht gesehen habe – ich würde ihn schon noch finden und wenn nicht, auch okay – oder sich hier mit einem awkward Händedruck für immer von mir verabschiedet, kurz nachdem wir gerade noch gemeinsam darüber gescherzt hatten.
In den seltenen freien Momenten, die ich habe, komme ich gerne hierher zurück, vielleicht, weil ich die Stille nicht ertragen kann – ein unangenehmes Loch in der Brust, das ich alleine einfach nicht stopfen kann. Egal, um welche Tageszeit, hier ist es immer ungemütlich laut und grell, man könnte gar nicht zur Ruhe kommen. Fast so, als würde man hier auf jemanden warten, der nicht mehr kommen wird.
Gesten sind vergänglich, aber Geschichten überleben. Selbst, wenn man sie verdrängt oder aus dem Internet löscht – Bücher können verbrannt werden, Papier geschreddert und das eigene Büro kann man ausmisten, so oft man möchte – aber Geschichten werden immer weitererzählt werden. Auch wenn sie sich vielleicht im Laufe der Zeit immer wieder etwas verändern, oder man jedes Mal beim Durchlesen etwas anderes hineininterpretieren wird. Wer keine Geschichten mehr erzählt, der lebt nicht mehr.
Und deshalb muss ich jetzt hier meinen alten Laptop aufklappen, den mit den vielen linkslinken Stickern, der nach dreißig Minuten in Verwendung schon seine komplette Akkukapazität verliert, und die Geschichte von Fips erzählen, damit er überleben und ich endlich zur Ruhe kommen kann. Fips – der hier einmal gelebt hat – eine kleine graue Stadtmaus, am großen, bunten Hauptbahnhof.
Während ich also an meinem Gingerbread Latte schlürfe, muss ich an einen Podcast über Ratten denken, den ich letztens gehört hatte. Alles, was Ratten – und dasselbe gilt sicherlich auch für Mäuse – brauchen ist ein Platz zum Leben und Nahrung. Jeder Bereich, der nicht regelmäßig instandgehalten wird und in dem es überwucherte Büsche oder Unkraut gibt, bietet ihnen einen idealen Lebensraum zum Graben und Nestbauen. Vielleicht hat es Fips ja so in meinen Kopf geschafft.
© Emma Arafta 2025-02-16