Prolog – Ich bin die Erde

Ich bin die Erde.

Vielleicht kennt ihr mich noch – rund, blau, manchmal eine kleine Diva, aber im Großen und Ganzen ziemlich geduldig. Man hat mich Mutter genannt, Heimat und irgendwann dann einfach nur Ressource.

Ich habe lange geschwiegen. Nicht, weil ich nichts zu sagen hatte, sondern weil ich dachte, ihr hättet mich längst verstanden. Ihr habt mich durchleuchtet, vermessen und kartografiert. Ihr wart so nah dran und doch immer wieder erstaunlich weit weg.

Stattdessen habt ihr mich behandelt wie eine kostenlose Mehrwegflasche mit unbegrenztem Nachfüllservice. Immer schön leertrinken und nie zurückbringen. Ihr habt gebohrt, verbrannt, aufgerissen und mir dabei regelmäßig auf die Schultern geklopft, wie robust ich doch sei.

Ich habe zugesehen, wie ihr in Rekordzeit von Höhlenmenschen zu Weltraumtouristen gewor-den seid. Respekt. Leider habt ihr unterwegs vergessen, dass man sein Zuhause nicht sprengt, wenn man keine Ausweichwohnung hat.

Ihr zieht mir den Stecker, sägt an meinem Ast und frittiert nebenbei noch den letzten Wal aus meinen Meeren.

Ich schreibe euch nicht aus Zorn. Ich habe keine Reißzähne, keine Klauen und keine Social-Media-Accounts. Ich schreibe, weil ich nicht ganz aufgegeben habe. Nicht euch. Nicht uns.

In den nächsten Kapiteln erzähle ich, was ich erlebt habe – mit euch. Ich erzähle von Wäldern, die schweigen, Tieren, die niemand mehr sieht, und Meeren, die schwer atmen. Aber ich erzähle auch von Widerstand, von Ideen, vom Wandel, der längst begonnen hat – leise, entschlossen, menschlich.

Vielleicht ist das hier mein letzter Brief. Vielleicht euer erster Schritt.

Lieben Gruß – Die Erde