Prolog – Verborgene Wahrheit

Maren Koch

von Maren Koch

Story

*Raschel*, *Knarz* – alles, worauf sich Alice konzentrieren kann, sind die leisen Geräusche um sie herum. Und sie verschwendet keinen Gedanken daran, sich umzudrehen. Denn das ist, was dumme Menschen tun, denkt sie sich im Stillen. Im letzten Augenblick in ein Gesicht zu starren, ehe alle Lichter ausgehen. Im Moment ist sie nur sehr dankbar. Und zwar dafür, dass keiner ihre Gedanken hören kann. Aber um ganz ehrlich zu sein, hat sie eine Scheißangst. Davor, dass ihr jemand gefolgt ist. Oder, dass sich ein Fünkchen Wahrheit in dieser Geschichte verbirgt, die sie von ihren Freunden zu hören bekommen hat. Eine Gestalt, die sich nur nachts am Waldesrand zeigt. Groß, krumm, sodass jeder beim bloßen Anblick scheinbar erstarrt. Aber das waren ja zum Glück nur alberne Märchen, denkt sich Alice. Albernes Gelaber, um sich zu pushen, oder einen wohligen Schauer auf die Haut zu zaubern. Und sie liebt eben den Horror. Genau deswegen hört sie jetzt etwas genauer hin. *Knack*, *Knack*, *Krächz* – Alice dreht sich unbewusst zur Seite. Ein Windstoß fegt feine Haare nach vorn über ihre nackten Schultern. Schatten, … nichts als Schatten. Das alles findet in meinem Kopf statt, denkt sie sich. Fast hat sie es geschafft. Warum mussten ihre besten Freunde auch ausgerechnet so weit entfernt wohnen? Endlich Zuhause angekommen, kramt Alice ihren Haustürschlüssel aus der Tasche und macht einen Schritt auf die Stufen. Auf einmal ist da dieses seltsame Gefühl in der Magengegend. Die kleine Stimme in ihrem Unterbewusstsein, die sagt: Da stimmt etwas nicht. Es könnte ja sein, dass … Aber wieso sollte jemand Fremdes in ihrem Familienhaus sein? Ihre Mutter schläft sicherlich, der Vater war wieder vor dem Fernseher eingenickt und ihr kleiner Bruder liegt vermutlich in süßen Träumen von Kuscheltieren in seinem Kinderbett. Also wieso ist da dieses Gefühl? Sie schüttelt den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden und dreht den Schlüssel im Schloss. Drinnen im Flur ist alles beim Alten. Etwas staubige Deko, leichter Geruch vom letzten Essen in der Luft und eine erdrückende Stille. Kein verdächtiges Schnarchen vom Vater im Wohnzimmer, kein Knarzen der alten Holztreppe. Alice will hinauf in ihr Zimmer, aber das Gefühl will nicht verschwinden. Zuerst sieht sie sich in der Küche um – ein paar dreckige Töpfe fristen ihr Dasein auf der Armatur. Essensreste, eine halb leere Flasche Wein… Mama hat doch gesagt, sie hört damit auf. Dann läuft sie mit leisen Schritten Richtung Wohnzimmer. Plötzlich hört sie ein *Klack* *Klack* – Vater ist nicht da, im Fernseher läuft kein Programm, sondern ein Standbild ist zu sehen. Und eine Kassette, die aus dem Rekorder hervorlugt und dort wieder verschwindet. Das muss der Ursprung des Geräusches sein. Aber wieso ist da ein Standbild zu sehen? Erst jetzt schaut sich Alice langsam an, was in diesem Bild zu erkennen ist, und erschaudert. Es ist das Schlafzimmer ihrer Eltern, aber irgendetwas daran scheint fremd. Wie verzerrt…? Ihre Eltern scheinen zu schlafen. Auf einmal wechselt sich das Standbild mit einem zweiten ab. Dort ist ihr kleiner Bruder zu sehen. Auf dem Boden neben dem Bett. Alice schlägt die Hand vor den Mund und sprintet zuerst in das Zimmer ihrer Eltern. Ein stechender Geruch strömt ihr entgegen. Sie möchte ihre Mutter wecken, aber es geht nicht. Dann ist Alice mit einem Moment ganz klar – sie erkennt das Blut… Überall dieses Blut – an ihrem Top, ihrer Hose, an ihrem Gesicht und letztendlich an ihren Händen.

© Maren Koch 2024-01-15

Genres
Spannung & Horror
Stimmung
Mysteriös
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