Der Tag, an dem ich fast keine Lehrerin geworden wäre, begann mit grauem Herbstwetter – wie auch sonst. Prüfungstage sind für mich selten sonnig. Es gibt diese ungute Vorahnung, dass etwas schieflaufen wird. Die hatte ich an diesem Tag seit dem Aufstehen. Natürlich hatte ich schlecht geschlafen, die Gedanken wollten nicht aufhören zu kreisen. In der Schule gaben sich alle Mühe, mir den Rücken freizuhalten. Die Kinder waren vorbereitet, aber ebenso aufgeregt, was nur bedingt hilfreich war.
Die Prüfungskommission hatte ich schon in den ersten Minuten gefressen, und das trug nicht gerade zu einem selbstsicheren Auftreten bei. Alles hing heute von zwei Unterrichtsstunden ab, in denen alles wie perfekt choreografiert laufen musste. Als ob Unterricht tatsächlich in der Realität so ablaufen würde! Die Prüfungskommission bestand aus vier Personen, die sich verhielten, als wären sie Teil eines Strafgerichts. Das verunsicherte mich massiv, und so lief die erste Stunde auch nicht rund – ich hatte es die ganze Zeit im Gefühl. Ich spürte die Blicke der Kommission auf mir, als läge ich auf dem Seziertisch, während ich durch die Stunde führte. Als die Stunde um war, fühlte ich ein schleichendes Gefühl, das mir sagte: „Du hast versagt!“ Ein perfekter Nährboden für frühere Unsicherheiten. Schon im ersten Staatsexamen hatte es solche Momente gegeben. Eine Professorin hatte mir einmal auf den Kopf zugesagt, als ich einige ihrer absurden Fragen, die mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hatten, nicht beantworten konnte: „Sie wollen wirklich Lehrerin werden? Wollen Sie sich das nicht noch einmal überlegen?“
Ich hatte es mir nicht noch einmal überlegt, sondern weitergemacht. Zwei Jahre Referendariat und nun der Abschluss. Zwischen den beiden Stunden blieb mir nur die Viertelstunde Pause, bevor es mit Deutsch weiterging – ein Fach, in dem ich mich eigentlich sicher fühlte. Zum Thema „Geschichten schreiben“ hatte ich mir wirklich Mühe gegeben. Ich sah aber schon wieder die skeptischen Blicke von oben herab, als die Kommission den Raum betrat und mein Material in Augenschein nahm.
Dann waren die Kinder da und warteten geduldig, dass es losging. In den ersten Minuten fühlte ich noch die Last der letzten Stunde, die Blicke der Personen, die hinten im Raum saßen und ständig mitschrieben oder misstrauisch schauten. Das brachte mich fast aus dem Konzept. Dann kamen die ersten Ideen der Kinder, die voll im Thema waren, und ich merkte plötzlich, dass da eine Verbindung war. „Scheiß drauf!“, dachte ich mir, sprach es natürlich nicht aus. Für wen machte ich das hier wirklich? Für die Menschen da hinten oder für die Kinder und mich?
Plötzlich war Energie da. Sollten sie doch mich und die Stunde doof finden – was machte das schon? Die Kinder waren richtig drin und hatten Spaß, also ließ ich mich mittragen. In meinen Augen verlief die Stunde rund; wahrscheinlich sahen das die Menschen hinten anders, aber mit jeder Minute war es mir mehr egal. Und so war ich zufrieden, als die Stunde zu Ende war.
Die Noten waren nicht prall, die zweite Stunde immerhin besser als die erste. Es reichte aber, um die Prüfung zu bestehen. Und was soll ich sagen? Niemand hat jemals wieder nach diesen Noten gefragt. Die Frage, ob ich Kinder begeistern konnte, konnte ich immer wieder mit Ja beantworten. Und ist es nicht das, was zählt?
© Alexandra Wendler 2024-11-02