Psyche

mara

von mara

Story

Der nussbaumfurnierte niedere Schrank mit Glasscheiben zum Gegeneinanderschieben, von meiner Mutter Psyche genannt. An der inneren Rückwand verspiegelt. Unterhalb die gewölbten Laden. Darunter anschließend die beiden Kastentüren. Diese Art von Möbel wurde im Stilzeitalter des Empire modern, bestand anfangs nur aus einem Stehspiegel oder schwenkbaren Spiegel. Später kamen kleine Unterschränke mit Schubladen oder auch Türen dazu. Dieses Möbelstück wurde in den 1940er und 1950er Jahren wieder besonders beliebt. Ich sehe mich als Kind davor stehen, die Gegenstände im Glasteil betrachtend. Ein eierschalenfarbenes feines Kaffeeservice mit zartgrünen Blättern und vergoldetem Rand. Eine Besonderheit dabei, dieser Rand ist etwa drei Millimeter unterhalb des Abschlusses gezogen. Beim noch üblichen händischen Geschirrabwaschen wird so der Goldrand geschont. Eine große Kaffeekanne und ein Milchkännchen gehören auch dazu. Dieses Kaffeeservice kommt nur zu ganz besonderen Gelegenheiten zum Einsatz. Es soll geschont werden, damit es lange so schön bleibt. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich es mitgenommen und verwende es zweckentfremdet als Teeservice, weil die Tassen so fein sind.

Ich schaue weiter in die Psyche und betrachte mein Lieblingsstück, eine Balletttänzerin aus Augartenporzellan in weiß-und rosafarbenen Tönen. Sitzend neigt sie sich in anmutiger Geste nach vorne, ihre Finger schnüren die Ballettschuhe zu. Ich empfinde die Schönheit, die Grazilität und Leichtigkeit dieser Figur. Ich kann sie immer wieder ansehen. Meine gleichaltrige Grazer Freundin besucht dort die Ballettschule. Sie hat mir schon Bilder von Aufführungen gezeigt, wo sie mit weißgepuderter Perücke im langen eleganten Ballettkleid tanzt, natürlich noch Schwarz-Weißfotos. Mein Traum wäre, auch so eine Ballettschule zu besuchen, doch im wohne am Land, zwei Stunden dauert es mit dem Zug nach Graz, also unmöglich. Mir bleibt meine Verehrung für „meine“ Tänzerin. Auch nach der Übersiedlung in unser Eigenheim erfreue ich mich immer noch an dieser feinen Gestalt. Einmal, in einem Sommer kommt ein bayrischer Cousin meines Vaters mit Frau ein paar Tage zu Besuch. Ihnen beiden sticht die Porzellanfigur ins Auge, äußern ihre Bewunderung und zum Abschied beschließen meine Eltern, ihnen die Balletttänzerin zu schenken. So verschwand sie, meine geliebte Tänzerin und ich konnte meinen Eltern nicht einmal sagen, dass ich die gerne gehabt hätte.

© mara 2020-04-19

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