Psychose I

Céline Zimmerer

von Céline Zimmerer

Story

„Ich habe Angst“, murmele ich. Ich wiederhole es immer und immer wieder. Ich habe solche Angst, dass mein Körper überläuft, so eine Angst, dass ich sie nicht in mir behalten kann und meine letzte Hoffnung ist, die Angst auszusprechen, um aus ihr auszubrechen. Meine Zimmernachbarin fragt, ob sie Hilfe holen soll. Ich flehe sie an, es nicht zu tun. Und fange wieder von vorne an. Ich habe Angst vor den Krankenpfleger*innen, so wie vor allen hier und draußen. Alle stecken unter einer Decke, wollen mich ins Gefängnis bringen oder mich umbringen oder mir schaden. Bitte keine Hilfe holen.

Meine Zimmernachbarin hält sich die Ohren zu und guckt dann Harry Potter weiter. Irgendwie ist auch der Film falsch, die Farben sind so grell und die Stimmen verzerrt. Bestimmt ist auch das ein Trick. Bestimmt ist das gar nicht meine echte Zimmernachbarin und nicht der echte Film, es ist alles nur gespielt, weil mich hier alle überwachen. Mein Körper verkrampft, ich vertrage die Medikamente nicht.

Mir läuft Speichel aus dem Mund, wie immer, ich kann nicht liegen, aber aufstehen geht auch nicht. Ich will sterben. Nicht nur so dahergesagt, ich gebe alles, um zu sterben. Ich esse fast nichts, versuche, nichts zu trinken und bete jeden Abend, den ganzen Abend lang, dass ich morgens nicht mehr aufwache. Nur um der Angst zu entkommen, den schmerzenden Gliedern, der Psychiatrie.

Die Schwestern kommen rein, es ist der nächste Morgen, ich schlage die Augen auf und würde vor Enttäuschung weinen, wenn ich noch weinen könnte. Ich weine nicht. Ich bin hier eingesperrt, ich bin alleine, ich weiß nicht, wie mir geschieht, aber ich weine nicht. Die Tränen sind versiegt und ich bin längst nicht mehr da. Die Nebenwirkungen werden jeden Tag schlimmer, mein Körper krampft, aber ich sage keinen Ton in den Visiten und wenn ich spreche, behaupte ich, alles sei in bester Ordnung, weil ich Angst habe und weil ich hier rauswill. Und raus kommt nur, wem es gut geht, also lüge ich. Natürlich glaubt mir niemand, aber das weiß ich in diesem Moment nicht.

Ich finde mich im Raucherzimmer wieder. Die Fliesen sind kühl und hier, hier, beschließe ich, ist ein guter Ort zum Sterben. Der Raum heißt Arbeitsraum Unrein und auch das scheint mir gelogen, ein höhnisches Schild, das mich verwirren soll. Meine Brust wird eng und warm, das Blut fühlt sich so heiß an. Ich lege mich auf den Boden und warte auf den Tod. Plötzlich kommt ein Mitpatient herein und verscheucht mich. Ich wandere ruhelos über die Gänge der geschützten Station.

Irgendwann kauere ich mich in die hinterste Ecke auf einen Sessel vorm Arztzimmer. Ein Pfleger kommt auf mich zu und fragt mich, ob er mir helfen kann, ich habe Blut im Gesicht. Ich muss mich aufgekratzt haben, ohne es zu bemerken. Er bringt mir eine kleine blaue Tablette, ich habe Angst, dass er mich vergiften will und behalte sie stumm in der Hand. Sie schmilzt, er schimpft, mir sei nicht zu helfen. Ich lege mich wieder ins Bett und stelle mich tot.

© Céline Zimmerer 2022-08-30

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