von Travelbird
»Donnerwetter«, raune ich als ich durch das Künstlerdorf Punakha im Himalaya-Königreich Bhutan laufe und die Hausfassaden mit den XXL-Phallus-Wandbildern fotografiere. Darunter welche mit Gesichtern, mit Zierschleifen um den Schaft, ejakulierend oder von Drachen und Tigern umschlungen. Parallelisiert bleibe ich vor einem Geschäft stehen, in dem bis zu zwei Meter große Phallus-Symbole aus Holz zum Verkauf stehen. Wie einst Carrie Bradshaw (Sex and the City) komme ich nicht umhin, mich zu fragen: »Ist der Bhutan ein Sündenpfuhl? Basiert das legendäre Bruttonationalglück, das König Wangchuk als Gegenpol zum Bruttonationalprodukt etablierte, auf nichts Anderem als Sex?«
Aufgeregt rufe ich Cori, meine Samantha, an. »Hör zu. Ich bin in Pimmelhausen. Wohin ich auch schaue, überall nur Penisse! An Hausfassaden, als Blumentopf und Trinkbrunnen, sogar XXL-Holzlümmel hängen von den Dächern.« »Deine Reise bietet offenbar einige Höhepunkte« »So betrachtet sind es multiple Höhepunkte«, scherze ich und beende das Telefonat mit dem Versand einiger Beweisfotos. »Auf 2.000 Höhenmetern dem Himmel so nah«, untertitele ich die Fotos mit dem ›Zunge-raus-Augenzwinker‹ Emoji, bevor mich Kinley, mein staatlich angeordneter Travelguide, zum nächsten Sightseeing Spot, dem Chimi Lhakhang Tempel einsammelt, der Drukpa Kunley gewidmet ist.
Auf Nachfrage erklärt mir Kinley, der Penis sei ein Glücksbringer, bringe Fruchtbarkeit und halte böse Geister fern. Yogi Drukpa Kunley, ›der heilige Narr‹, lebte im 14. Jahrhundert. Er glaubte Erleuchtung könne nicht durch zölibatäres Leben erlangt werden. Die strengen Regeln hielten davon ab, die wahre Lehre Buddhas zu erkennen. Aber er ist umstritten, handelte sich gar den Ruf als Filou und Trinker ein. Und dennoch ist seine Verehrung bis heute enorm.
Ich denke, er machte sich die Welt, wie sie ihm gefällt und fühle mich bestätigt als ich erfahre, dass er unter dem Titel ›Fruchtbarkeitsheiliger‹ rund 5.000 Frauen mit seinem sog. ›Donnerkeil der flammenden Weisheit‹ zur Erleuchtung brachte. Welch Manneskraft. »Spirituelle Transformation durch Sex also?«, frage ich Kinley, der dies überzeugt bestätigt. »Dagegen ist selbst Giacomo Casanova ein Waisenknabe«, lache ich als wir am besagten Tempel ankommen.
Wir betreten den schlichten ›Tempel des göttlichen Verrückten‹, der auch außer Landes berühmt ist unfreiwillig kinderlosen Paaren zum Kindersegen zu verhelfen. Unzählige Dankesbriefe, Fotoalben und Opfergaben bezeugen die Wirkkraft des Ortes. Ist es die Heilkraft Kunleys? Oder der Glaube an sich? Fasziniert verfolge ich die rituellen Segnungen an Ratsuchenden. Ein Lama legt zwei Phalli mit dem Schießbogen Kunleys auf die Stirn des Paares, gefolgt von ein paar Gebeten.
Das also ist ein Teil des sog. ›Bruttonationalglück‹. Jene Staatsphilosophie, die die Balance zwischen materiellem und emotionalem Wohlbefinden anstrebt. Wo bleibt unsere westliche Adaption?
© Travelbird 2021-03-14