Puppenmutters Gartenglück

Eva_Sabin

von Eva_Sabin

Story

Vermutlich könnte ich dieses Gefühl von damals gar nicht mehr so deutlich empfinden, wenn da nicht dieses schon leicht vergilbte Schwarzweißfoto wäre. Es zeigt mich, ein dünnes Mädchen von sieben oder acht Jahren, mit blonden Zöpfen und Stirnfransen, selig lächelnd um einen kleinen Kindertisch mit drei Sesselchen herumtänzelnd,- die ganze Szene auf einer Wiese mit hohen alten Obstbäumen. Auf den Sesseln sitzen meine beiden Lieblingspuppen, die ich bediene. Dann setze ich mich zu ihnen, blinzle in die Sonne, schaue in das grün-flirrende Laubwerk, auf die üppige Blütenpracht im Beet vor dem nahenHaus, höre das Zwitschern der Vögel und bin rundum glücklich.

Manche Menschen meinen, Kinder hätten keinen Sinn für die Schönheiten der Natur,- aber das kann so nicht stimmen. Ich erinnere mich deutlich an meine Freude am Garten, an der großen Wiese, die sich bis zum Waldrand erstreckt, an den Farben der Blumen rund um mich, das kleine Mädchen, das die ersten Jahre seines Lebens in einer engen Wohnung im Gemeindebau unseres Dorfes verbracht hatte. Nun hatten sich unsere Lebensumstände verändert, ein altes Bauernhaus wurde ausgebaut, die alten Blumenbeete wurden belebt. Meine Mutter hatte begonnen sich für Gartenarbeit zu begeistern und sie zu ihrem Hobby zu machen. In ihrer freien Zeit sah man sie häufig bei der Gartenarbeit oder Gartenbücher lesend. Wir Kinder genossen die neue Freiheit mit so viel grüner Weite rund um uns. Wenn ich an damals denke, sehe ich mich nie gehend, sondern die Kieswege entlang hüpfend.

Zum Zeitpunkt des beschriebenen Fotos waren das Gelb der Primeln und das Weiß der Schneeglöckchen schon verschwunden, auch die Tulpen waren verblüht. Nun sog ich die Farben der Rosen, der eleganten Gladiolen und des Rittersporn in mich ein.

Nun wurde die Wiese bereits immer wieder gemäht, aber ein Bereich, in dem das Gras hoch bleiben durfte und wo es Margeriten, Glockenblumen, lila Knopfblumen und viele andere Wiesenblumen und Gräser gab, war für uns Kinder ein wildes Paradies. Wir bahnten uns einen Pfad durch das hohe Gras (obwohl das verboten war) und zertrampelten so viel Wiese, dass wir eine kleine Höhle mittendrin hatten, in der wir aus dem Blickfeld der Erwachsenen verschwanden. Es gab auch eine Zeit, in der ich fest davon überzeugt war, dass in unserem Garten Zwerge wohnten, irgendwo in der Nähe der alten Bäume und Büsche, und ich brachte ihnen zu trinken und zu essen. Wenn die kleinen Becherchen am nächsten Tag leer waren, war das ein deutlicher Beweis für die Existenz der kleinen Wesen.

Nach ungefähr vier Jahren des Gartenglücks fand diese Zeit für mich ein Ende. Als Zehnjährige schickten mich meine Eltern in die Stadt, damit ich das Gymnasium besuchen konnte. Wieder sehe ich eine Gartenszene vor mir: Ich stehe schluchzend mit meiner Mutter vor dem Gartenbeet. Sie versucht mich zu trösten, weint dann aber doch mit. Das war das eigentliche Ende meiner unbeschwerten Kindheit.

© Eva_Sabin 2021-04-25

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