von Sarah Pankow
Als wir am Startbereich des Marathons ankamen, herrschte dort bereits ein buntes Treiben. Die letzten Läufer und Läuferinnen holten ihre Startunterlagen ab, einige frühstückten noch an einer der aufgebauten Buden, andere standen schon voller Aufregung vor den Dixi-Klos Schlange. Die Meisten jedoch machten sich warm für das Ereignis des Tages. Auf der Wiese war eine große Bühne aufgebaut, auf der drei Helfer eine Choreographie präsentierten, die einige Läufer mehr oder weniger im Takt lustig nachhüpften.
Es wurden Hüften geschwungen und Arme in die Luft geworfen und der Körper richtig schön durchgeschüttelt. Genau das Richtige, um jeglichen Stress und Anspannungen aus sich herauszuschütteln und sich vom Erwartungsdruck freizumachen und stattdessen einfach den Zauber des Moments, der durch die Vorfreude auf ein Erfolgserlebnis entsteht, zu zelebrieren.
Ben und ich schlossen uns der Gruppe an, tanzten wild und ausgelassen, lachten über uns selbst und die anderen Laufballerinas. Wir schüttelten jegliche Reste von Nervosität aus unseren Köpfen, aus unseren Knochen und Muskeln. Alle Anspannung wich aus unseren Körpern. Wir sogen unsere Lungen mit frischer Morgenluft voll und gingen hinüber zur Startlinie. Wir wünschten einander Glück, Erfolg und vor allem Spaß und umarmten uns, bevor mein Bruder sich in die erste Reihe stellte und ich etwas weiter hinten einen Platz suchte.
Wir hüpften noch kurz auf der Stelle umher, machten die letzten Stretchmoves und dann fiel der Startschuss. Es ist jedes Mal wieder ein Hochgenuss, sich über die Startlinie aufzumachen zu 42 Kilometer Freilaufen. Freilaufen von Gedanken, von Verpflichtungen, von Ego. Einfach nur eins sein mit der Erde und den Bewegungen. Sich selbst spüren. Nicht das Selbst, das man sich in der Zivilgesellschaft erschaffen hat, um in ihr zu bestehen, sondern das, was sich hinter den Masken verbirgt; das wahre, authentische Selbst.
Es ging los um einen See herum. Anfangs schien es gar nicht wie ein Marathon, sondern wie ein entspannter 5 Kilometer Lauf in schwedischer Idylle. Doch das änderte sich bald, als es die Straßen rauf und runter ging, als wäre es der Heldenlauf in doppelter Distanz. Dieser Marathon hatte es in sich. Er verlangte einem alles ab. Ganz nach dem Motto: „All it takes is all you got.“ Und auch das war gut so. Auch dieser Kampf wollte gekämpft werden.
Die Steigungen zehrten an meinen Kräften. Ich erinnerte mich an meinen Wunsch, so weit und so lange zu laufen bis ich umkippe vor Erschöpfung und kämpfte weiter. Irgendwann war der Kopf leer gedacht und alle Energie musste herhalten, um sich auf einen Schritt nach dem anderen zu konzentrieren. Ein Schritt ging noch. Und noch einer. Und noch einer. Wie großartig und erleuchtend sind doch die Lektionen, die man beim Laufen lernen kann! Wie wunderschön und einfach ist doch das Leben!
© Sarah Pankow 2023-01-16