Rache

Maria Büchler

von Maria Büchler

Story

Ich bin eine Böse. Eine ganz, ganz Böse. Und wer da glaubt, dass Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung sei, irrt sich. Gewaltig! Denn wer einmal am Nektar der Rache geleckt hat, will mehr. Rache hat Suchtpotential.

In meinem Leben gab es einen Mann, der Vergeltung geradezu herausgefordert hat. Dem habe ich manchmal Streiche gespielt, auf die er jedes Mal hereingefallen ist. Balsam für meine schwarze Seele!

Er hatte grossmäulig von einer Piaget, einer Cartier, gar einer Rolex zum Geburtstag gesprochen, als meine alte Tissot nach fast 40 Jahren den Geist aufgab. Nun, das Geld dazu hatte er ja. In Fülle. Aber ich wusste auch, dass er seine Versprechungen meist sofort wieder vergass. Zum Beispiel, dass ich den Pilotenschein für Kleinflugzeuge machen darf.

Deshalb überkamen mich Zweifel, als er mir morgens am Frühstückstisch ein längliches Päckchen neben die Tasse warf. Nach einem gemurmelten kurzen Glückwunsch verliess er das Haus.

Ich wartete, bis er verlässlich weg war, nahm das Päckchen und streifte das Geschenkband ab. Vorsichtig entfernte ich den Klebstreifen an der Schmalseite und schob die Schachtel heraus. Eine billige Swatch – na klar! Ein klobiges, dickes Ding, sehr unpraktisch bei langen Ärmeln. Auf dem Zifferblatt prangte eine rote Blume auf schwarzem Grund. Ich nahm die Uhr heraus, schob den leeren Karton wieder ins bunte Papier, verschloss mit einem neuen Tixostreifen. Für das Bändchen brauchte ich ein Messer, um es wieder dran zu bekommen. Die Swatch selbst versteckte ich hinter dem Staubsauger.

Abends blickte er fragend auf den Tisch, wo an genau derselben Stelle immer noch sein Geschenk lag.

«Jetzt mach es doch auf», forderte er mich gut gelaunt auf. Den Gefallen tat ich ihm gern. Sein breites Lächeln verschwand blitzartig, nachdem alle Hüllen gefallen waren. Er griff nach der Schachtel, dem Papier, sah unter dem Tisch nach, hob sogar das Tischtuch an.

«Das gibt’s doch nicht! Ich hab’ doch zugeschaut, wie sie die Uhr verpackt hat. Das ist Betrug! Ich werde morgen sofort hingehen und reklamieren!» Er gebärdete sich, als hätte sich eine Graff Diamonds Hallucination vor seinen Augen in Luft aufgelöst. Immer wieder suchte er an allen möglichen und unmöglichen Stellen. In meinen Händen und auf meinem Stuhl. In den Zimmerecken und hinter den Polstern. Bei den Zimmerpflanzen und unter dem Teppich. Und konnte es einfach nicht fassen.

Abends war die ganze Sache wieder vom Tisch. Viel Wichtigeres und Bedeutsameres war ihm im Lauf des Tages begegnet.

Zwei Wochen wartete ich, dann legte ich die Swatch an. «Schau mal, die hübsche Patek Philippe», säuselte ich. Er hatte plötzlich einen ganz dringenden Termin in der Stadt.

Foto: Rolex

© Maria Büchler 2020-05-17