von Michael Stary
Bei Henriette, im Stationskämmerlein auf der anderen Seite des Ganges, fühlte ich mich wohl. Sie hatte die Gabe, mich mit ihren verständnisvollen Worten zu beruhigen. Als Mutter meiner besten Freundin aus Schulzeiten hatten wir seit jeher eine gute Beziehung. Sie war sogar so cool, dass wir als Jugendliche bei Partys in ihrem Keller rauchen durften. Dieser Extrapunkt währte natürlich weit über diese Zeit hinaus. Dass sie nicht allzu viel später leidvoll an Krebs starb, ist eine andere Geschichte. Sie so lebendig an meiner Seite zu haben in diesen Tagen, war jedenfalls enorm wichtig für mich. Danke dir an dieser Stelle, du Engel.
Die zwei alten Männer in meinem Dreier-Zimmer schnarchten entweder oder sahen in einer Lautstärke fern, dass mein von wildester Unruhe geplagter Körper verzweifelte Symptome der Flucht meldete. Mich eingesperrt zu fühlen, im eigenen Körper wie auch in diesem Zimmer, bescherte mir Szenen von Ohnmacht sondergleichen. Nach der plötzlichen Attacke mit tachykardem Vorhofflimmern zu Hause war mein Herz zwar nach gut 18 Stunden wieder im Sinusrhythmus, doch ich nicht mehr der geglaubt unzerstörbare Mensch.
Grauenhafte Angst und vernichtende Panik wechselten sich im Krankenbett ab. Niemand wusste genau, was mit mir war. Herzstolpern hatte ich schon die Monate zuvor bemerkt, Panikattacken auch, zumeist unter dem Einfluss von hohen Dosen Alkohol oder nach wild durchwachten Nächten, wo es bei Tagesanbruch vorwiegend darum ging, welche substanzielle Strategie das überforderte Gehirn in den Schlaf zwingen konnte.
Diese Tricks fielen hier nun flach. In mir das Geheimnis meiner Abhängigkeit, welches nicht nach außen drang und gut versteckt die Fassade hochhielt. Ich schaffte es, mir davon nichts anmerken zu lassen, und nahm hier als unklarer Fall einer Krankengeschichte Platz. Der Sumpf war tief. Meine Scham tiefer. Als unglücklicher Magistratsbediensteter, der durch kräftiges Vitamin P an den Schreibtisch des Vorzimmers vom Vizebürgermeister kam, durfte natürlich zu dem ungeliebten Job nicht noch Schande über dieses zwanghafte Bündnis kommen.
Von diesem Platz weggemobbt, landete ich schließlich dann bei den gehassten Parkwächtern im Außendienst und fand mich bereits damit ab. Also schluckte ich die eigene Wahrheit des Herzens wieder und wählte erneut den Weg der Lüge und Verblendung. Der weichende Rhythmus des Organs sollte wohl mehr als deutlich auf dieses Malheur aufmerksam machen.
Dass dann mein Körper diesem Lebensentwurf klar den Riegel vorschob und ich dadurch wieder mehr mit mir in Kontakt kam, war ein gehasstes Geschenk. Zwar konnte ich nicht gleich allem entsagen, doch die harten Drogen fielen. Ich ging nach Wien zur Ausbildung und begann wieder Sport zu machen. Ein kleiner koksiger Rückfall 2006 schoss mich schnurstracks wieder auf die Intensivstation. Als ob die Seele gerufen hätte: Hast du nichts gelernt, du Narr? Dein Leben ist kostbar und du bist es auch!
© Michael Stary 2021-03-01