von Raphael Stompe
âNein, nein, nein!â, rief er und schmetterte den Teller mit dem âwahrscheinlich-Ratten-Ragu-oder-was-auch-immer-Pawel-gefangen-hatteâ, das ihre tĂ€gliche Speise war, auf den feuchten Steinboden. Pawel sah nicht auf. Er schob sich weiter ein StĂŒck nach dem anderen in den Mund. âWie kannst du das essen?â, schrie sein gegenĂŒber wieder. âDas ist unmenschlich!â Pawel biss auf ein hartes StĂŒck und gab sich MĂŒhe, es krĂ€ftig durchzukauen. Kurz war er sich nicht sicher, ob es sich vielleicht um ein StĂŒck Leder handelt. Die ersten Ratten hatten Saschas verschmĂ€htes Mittagessen gefunden und stĂŒrzten sich fröhlich fiepend auf es. WĂŒtend trat Sascha die Nagetiere von seinem Essen weg, auch wenn es ihm nicht schmeckte, hieĂ das nicht, dass er es jemand anderem schenken wĂŒrde. Er baute sich vor Pawel auf, der seinen Blick noch immer kein StĂŒckchen hob. âPaw, wir werden heute wie Könige essen!â Das hatte seine Aufmerksamkeit geweckt und Pawel hob den Blick, um Sascha anzusehen. Zufrieden lĂ€chelte Sascha, hob die Arme und schritt, fast königlich, durch ihr stinkendes Versteck. âPaw, die Zeiten der Demut sind vorbei. Ich bin es satt. Wir sind fĂŒr GröĂeres bestimmt. Er zeigte mit dem Finger zu Pawel, der, wie er verĂ€rgert feststellte, weiter aĂ. âWirâ, er ging einen Schritt auf Pawel zu âsindâ, er nĂ€herte sich weiter âvielâ, er ĂŒberbrĂŒckte den letzten Schritt, der sie noch trennte und hielt mit einem Finger Pawels Löffel davon ab, weitere RagustĂŒcke in seinen Mund zu verfrachten, âzu gut, um uns in der Kanalisation zu verstecken und diesen leidlichen FraĂ hier zu fressen!â Pawel versuchte weiterzuessen, aber Sascha hielt ihn mit eisernem Finger davon ab: âPawel!! Steh auf!â Pawel betrachtete seinen in der Luft stehengebliebenen Löffel, legte ihn zurĂŒck in die SchĂŒssel und stellte diese auf den Boden. Seufzend erhob er sich. âPaw, weiĂt du, was wir heute Abend machen?â, ohne auf seine Antwort zu warten, fuhr er fort. âWir gehen an die Oberwelt! Wir zeigen unsere Gesichter dem Licht! Wir holen, was wir verdienen!â In Pawels Gedanken sah er Croissants. Er wollte immer schon Croissants essen. Zumindest einmal in seinem Leben. Wasser lief in seinem Mund zusammen. Er sah, wie sich eine Ratte seiner SchĂŒssel nĂ€herte und trat sie beilĂ€ufig zur Seite. âWo ist deine Begeisterung, wo ist deine Freude?!â, donnerte Sascha und lief los. Pawel wusste, dass jede Widerrede sinnlos war und sah traurig zu seiner SchĂŒssel, der sich inzwischen drei vorsichtige kleine Kanalbewohner nĂ€herten. âPawel! Komm jetzt endlich, wir haben keine Zeit!â Der groĂe, meistens stumme, beste und einzige Freund Saschas folgte ihm. Er verlieĂ den Raum mit den schwarz-gefleckten WĂ€nden und den kleinen Lacken am Boden. ZurĂŒck blieb die pelzige Luft des Raumes. Sie schwang noch einige Minuten lang sanft im Klang der sich entfernenden Schritte, ehe sie vom freudigen Piepen unzĂ€hliger Nager erfĂŒllt wurde. Sie fragte sich, was Pawel und Sascha wohl vorhaben wĂŒrden. Doch weder sie noch die beschĂ€ftigten Ratten wussten es. Aber was es auch war â es war mit Sicherheit weltbewegend. Oder auch nicht.
© Raphael Stompe 2025-04-04