Rajna

Roswitha Springschitz

von Roswitha Springschitz

Story

zündete die Kerze auf dem Tisch des Paares an. ‚Ob die beiden ein Liebespaar sind?‘, überlegte sie. Sie sind eher schweigsam. Sie kommt mir irgendwie bekannt vor: Ist die von hier? Ist die vielleicht mit mir in die Schule gegangen? Jedenfalls spricht sie Kroatisch. Er aber nur Englisch.‘

„Der Herr von Tisch 7 will zahlen!“, sagte der Oberkellner etwas barsch zu Rajna. „Sagte ich dir ja schon, vor fünf Minuten! Hast du übrigens gesehen, dass auf Tisch 12 neue Gäste Platz genommen haben?“ – Während sie möglichst rasch den Aufforderungen des Oberkellners nachkam, träumte Rajna weiter. Das Paar auf Tisch 5 erinnerte sie irgendwie an jenes in ihrer Lieblingsserie: „Liebe ist’s!“ Am Vortag, endlich, in der 347. Folge der Serie, war ER vor IHR auf die Knie gefallen und hatte die Frage der Fragen gestellt: „Willst du meine Frau werden?“ Überglücklich hatte SIE „Ja!“, gehaucht. Freudentränen hatten ihre Augen gefüllt und waren wie leuchtende Perlen ihre Wangen hinunter gekullert. Die beiden hatten sich lange und innig umarmt und geküsst. ER wusste es nicht, wusste es ja noch nicht (was SIE und die ZuseherInnen wussten): SIE trug bereits sein Kind – dieses Kind ihrer Liebe – unter ihrem Herzen! Mit zitternder Stimme sprach SIE ihn an: „Ich muss dir etwas sagen…“ Rajna lebte ganz mit der jungen Heldin der Serie mit. Zumal in ihrem eigenen Leben ER, der Einzige, der ganz und gar Wunderbare noch nicht an sie herangetreten war. Sie war nämlich überzeugt davon, dass ihr Kollege Mario ER war: Hoffnungslos war sie in Mario verliebt. Der fand sie offenbar ganz nett und scherzte dann und wann ein wenig mit ihr. Aber nicht mehr. ‘Wird schon noch…,’, dachte Rajna.

Hinter der Theke nippte sie an einem Glas Limonade. Sie fühlte sich schwach; war seit Stunden auf den Beinen. Eilte von Tisch zu Tisch; balancierte schwere Tabletts. An diesem Abend war das Restaurant wieder einmal voll besetzt. Der Oberkellner kommandierte streng herum und Mario hatte sie noch keines Blickes gewürdigt. Sie servierte dem jungen Paar die Vorspeisen. Nach wie vor redeten die beiden nicht viel miteinander. Sie schienen das gar nicht nötig zu haben. Wirkten sehr entspannt und harmonisch, wie sie da einander gegenüber saßen. ‘Wie hübsch sie ist!’, dachte Rajna. ‘Was für schöne Haare sie hat! Und eine schöne Haut! Er ist auch irgendwie attraktiv, halt ein heller Typ, mit seinen rötlichen Haaren. Ich finde, die beiden passen gut zusammen!‘ – „Shall we order some more bread, Iva?”, fragte der junge Mann nun. Somit kannte Rajna nun ihren Namen. „Oh yes, please!” war Ivas Antwort. Rajna nahm den leeren Brotkorb mit, um ihn zu befüllen. Sie schaute auf die Uhr: einundzwanzig Uhr erst. Ihr Dienst dauerte noch bis Mitternacht – wenn’s gut ging. Eigentlich wollte sie auf die Toilette; und sie war sehr hungrig. Sie hatte noch keine Zeit gefunden, selbst etwas zu essen und war seit vierzehn Uhr, mit einer kleinen, zehnminütigen Pause, im Dienst. „Tisch 10, Rajna!”, rief der Oberkellner. „Die warten!“

© Roswitha Springschitz 2022-11-23

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