Rauchen mit Ernst Hinterberger

Jürgen Heimlich

von Jürgen Heimlich

Story

Auch in Zeiten des Lockdown begegne ich auf den Straßen vielen Menschen. Bei meinen ausgedehnten Spaziergängen beobachte ich, wie viele Menschen dem Rauchen frönen. Vielleicht haben sich einige von ihnen erst während der Pandemie dazu verführen lassen, und es handelt sich um eine Bewältigungsstrategie, um der schwierigen Situation vermeintlich besser beizukommen?

Heute musste ich angesichts der Raucher-Schwemme an Ernst Hinterberger, den legendären Erfinder des „Mundl“, begnadeten Schriftsteller und unverbesserlichen Raucher denken. Im Jahre 2010 habe ich ihn an einem Tag gleich zwei Mal aus nächster Nähe beobachten können.

Ich war als Autor zur Eröffnungsveranstaltung der „Wiener Kriminacht“ eingeladen. Zahlreiche Autoren gaben sich ein Stelldichein und mit einigen führte ich freundschaftliche Gespräche. Im Saal herrschte Rauchverbot. Es gab nur ein kleines Zimmerchen, das offenbar für Raucher gedacht war. In diesem hielt sich nur eine Person auf. Richtig geraten: Ernst Hinterberger! Er war zu diesem Zeitpunkt schwer krebskrank und auf Sauerstoff angewiesen. Er hatte eine Sauerstoffflasche bei sich. Und ich sah zu meinem Erstaunen, dass er an der Zigarette zog, Rauch ausblies und sich einen Moment später Sauerstoff zuführte. Eine irgendwie bizarre Situation. Er hielt sich ziemlich lange in diesem Zimmer auf. In den Saal zurück gekehrt machte er einen etwas nervösen Eindruck. Wahrscheinlich dachte er schon an seine nächste Zigarette…

Nach meiner eigenen Lesung nahm ich mir vor, zur Abschlußfeier im Cafe Korb vorbei zu schauen. Schon ein paar Meter vor dem Eingang war die Stimme von Ernst Hinterberger hörbar. Das weckte freilich meine Neugier. Doch im Cafe fühlte ich mich als Nichtraucher wie in einem falschen Film. Das ganze Cafe war extrem verraucht und ich konnte durch die Rauchschwaden dann doch einige Autorinnen und Autoren erkennen, mit denen ich persönlich bekannt war, und die ich begrüßte. Ich hielt es vielleicht drei Minuten aus und überlegte in diesem kurzem Zeitraum ständig, ob ich gehen oder bleiben solle. Ernst Hinterberger muss sich hier pudelwohl gefühlt haben. Kein abgeschiedenens Raucherkammerl mehr, sondern Raucher, wohin auch das Auge fällt. Als ich der Hölle für Nichtraucher entronnen war, atmete ich tief durch.

Ernst Hinterberger hat ein Ehrengrab am Zentralfriedhof. Er war bekennender Buddhist und ist doch nicht am buddhistischen Friedhof begraben.

Auf seiner Grabstätte ist zu lesen:

„Es gibt keinen Weg…

Nur Träume –

Und Träume von Träumen“

Das Leben als Traum. Ernst Hinterberger hat ihn verwirklicht. Und vielleicht hat er den Film „Smoke“ gesehen, zu dem mein Lieblingsautor Paul Auster das Drehbuch geschrieben hat. Wie Rauch gewogen werden kann? Erst die Zigarette abwiegen. Dann rauchen und die Asche abwiegen. Und schließlich das Gewicht der Asche von jenem der Zigarette abziehen. Das Ergebnis ist der Rauch. Das erstaunt auch einen Nichtraucher.

© Jürgen Heimlich 2021-01-05

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