Rechenkönig

Jürgen Heimlich

von Jürgen Heimlich

Story

Bevor ich in die Volksschule kam, habe ich so getan, als könnte ich bereits lesen und schreiben. Insbesondere meinen Großeltern präsentierte ich so etwas wie eine „Schrift“, und sie machten mir die Freude und staunten darüber. Ich war dann glücklich, in der Schule zu sein und las bald die Märchenbücher, die mir meine Großmutter früher vorgelesen hatte. Ja, und ich schrieb lustige Geschichten auf, und war bei Diktaten mit einer einzigen Ausnahme vier Jahre fehlerfrei.

Rechnen mochte ich nicht so gern. Dabei war ich nicht so schlecht darin. Ich war etwa einige Male Rechenkönig. Das wurde im Sinne einer Ausscheidung von Zeit zu Zeit während des Unterrichts gespielt. Gut erinnern kann ich mich, dass ich einmal einer Mitschülerin den Vortritt gelassen hatte. Offenbar wussten meine Klassenkameraden von meiner Stärke im Rechnen. Ich hingegen bildete mir ein, kein Talent für das Rechnen zu haben. Und so kam es, dass ich in späteren Jahren in Mathematik kein guter Schüler war. Ich schwindelte mich – aus meiner Wahrnehmung betrachtet – irgendwie durch. Dabei war ich sehr gut im Kopfrechnen. Und ich konnte Zahlenkolonnen sehr schnell zusammen zählen.

Mich hat während meiner Schulzeit nie wer darauf aufmerksam gemacht, dass ich eine besondere Begabung fürs Rechnen hätte. Allerdings ist mir dies lange Zeit auch nie in Bezug auf das Schreiben widerfahren. Ich war 18 Jahre alt, als mich Herr Prof. Zsilla motivierte, mein Schreiben zu forcieren. Mein Lehrer hatte als meine ausgeprägte Fähigkeit erkannt. Rechnen war ein Gebiet, mit dem ich mich nur wenig beschäftigte.

Es dauerte einige Jahrzehnte, bis ich erstaunt feststellte, überdurchschnittlich gut im Rechnen zu sein. Ich beteiligte mich an einer Rechnen-Challenge, die via App ausgetragen wurde. Es ging dabei um nichts, und ich hatte nichts zu verlieren. Es galt, so schnell wie möglich verschiedene Rechenaufgaben zu lösen; zu addieren, zu multiplizieren, zu dividieren und zu subtrahieren. Dies mit wachsendem Schwierigkeitsgrad. Und ich erzielte von Anfang an enorme Punktezahlen. Eine Zeit lang bestand auch die Möglichkeit, mich mit Rechnern aus dem deutschsprachigen Raum zu messen. Ich war, solange ich an dieser Challenge teilnahm, quasi unschlagbar. Manche Mitstreiter kamen mir von der Punkteanzahl relativ nahe. Ein knappes Jahr belegte ich in der Rangliste den ersten Platz, und da ich nicht ewig so weiter machen wollte, räumte ich dann das Feld.

Nun, ich habe nicht Mathematik studiert, und bin nicht mal Rechnungsprüfer oder Buchhalter geworden. Wahrscheinlich, weil ich meine Affinität zu Zahlen zu spät entdeckt habe. Heute bin ich Autor, Schriftsteller und ein Zahlenmensch. Eine Fertigkeit muss nicht immer dazu führen, etwas „daraus zu machen“. Es kann einfach nur eine interessante Entdeckung sein zu wissen, dass man etwas gut kann. Und das streichelt durchaus die Seele. Es zahlt sich buchstäblich aus, nicht aus allem einen Nutzen ziehen zu wollen.

© Jürgen Heimlich 2021-02-02

Hashtags