#rede

Eva D

von Eva D

Story
2021

„Mama, ich bin so auf-ge-reeegt!“, ist das erste, das ich von meiner Tochter höre, als ich sie später als geplant vom Hort abhole. Es hat schon wieder geregnet und heute Morgen ließ ich das Fahrrad stehen, damit ich nicht wieder nass bis auf die Knochen im Deutschkurs stehe. Darum war ich mit Bus und Straßenbahn unterwegs. Sogar den mir sonst verhassten Regenschirm hatte ich mit dabei.

„Warum bist du aufgeregt?“, frage ich den neunjährigen Nachwuchs. „Weil … ich hab mich aufstellen lassen. Zur Wahl als Klassensprecher-Stellvertreterin. Wir sind zu zweit und ich will gewinnen!“. Wow, ich wusste gar nicht, dass es dieses Amt schon in der Volksschule gibt.

„Und jetzt habe ich im Hort eine Rede geschrieben und ein Plakat gemacht. Das muss ich ganz oft üben!“, teilt mir mein Mädel mit, während wir mit dem Bus fahren. Eine Rede? Da bin ich gespannt!

Zu Hause angekommen stellt sie sich mitten ins Wohnzimmer, mit dem Blatt Papier in der Hand, von dem sie ihren Text abliest. „Wählt mich”, beginnt sie. “Ich versuche die Konflikte zwischen den Kindern zu lösen. Vorausgesetzt, der Klassensprecher ist nicht da. Ich bin sehr aufgeregt, aber es ist okay, wenn ihr A* wählt. Ich bin nicht sauer oder so. Natürlich wäre es toll, wenn ihr mich wählt. Gemeinsam werden wir das schaffen! Wünsche und so nehme ich natürlich auf. Einfach zu mir kommen.”

Ich bin tief gerührt. Auch noch beim zweiten und dritten Mal, als der Zettel weg kommt und meine Tochter ihre Worte mit den Händen unterstreicht.

„Mama, und was ist, wenn ich verliere?“, fragt sie mich dann. „Das geht gar nicht mehr“, antworte ich. „Du hast schon gewonnen, weil du so mutig warst, dich heute zu melden. Ich bin sehr stolz auf dich.“

Dann beginnt sie zu überlegen, welche Stimmen sie theoretisch schon in der Tasche hat. Zehn Mädchen und zehn Buben sind in der Klasse. Der Konkurrent ist ein Junge. Das könnte knapp werden. Sie beschließt, sich selbst zu wählen und so ihre Chancen zu erhöhen.

Am nächsten Morgen noch eine letzte Probe. Das mittlerweile laminierte Plakat mit einem Selbstporträt wird mitsamt der Rede im Rucksack verstaut. Die Nervosität ist groß.

Am Nachmittag hole ich sie ab. Sie berichtet mir strahlend, dass sie gewonnen hat. Zwölf Stimmen kann sie verzeichnen, ihr Kontrahent bekam sechs. Er hat sie auch gewählt.

Sie tröstete ihn, erzählt sie mir. Indem sie ihm sagte, dass er nicht verloren hätte. Weil er so mutig war, sich überhaupt zu melden.

© Eva D 2021-10-09