von Mardy_bum
Aufgewachsen bin ich in einer ehemaligen Regenmantel-Fabrik. Herr Pirner, der Regenmantelfabrikant war gerade erst ausgezogen, an der Straßenecke war noch sein Werbeschild montiert.
Mein Vater und seine Helfer hatten jede Menge Arbeit, aus einer Fabrik, die zuvor eine Herrschaftswohnung gewesen war, wieder eine Wohnung zu schaffen.
Das einzige Relikt aus jener Zeit ist heute die schallgedämmte Tür, die damals zum Büro führte. Heute schläft meine schwerhörige Mutter in diesem Zimmer, sie braucht eigentlich keine Schalldämmung mehr, sie hört ohnehin kaum.
Unter uns befand sich damals noch eine Druckerei, was den Vorteil hatte, dass ich im Haus Rollschuhfahren und Seilspringen konnte so viel ich wollte, die Maschinen unter uns waren lauter als wir.
Außerdem gab es im Haus auch noch Pauls Werkstatt. Er war und ist Tischler für Bühnenkulissen. Ein richtiger Künstler mit Haaren wie Struwelpeter, immer beschäftigt, immer im Stress.
Im 2. Stock gab es die Schneiderei von Frau R. Hier gingen feine Damen aus und ein, die sich Maßanfertigungen leisten konnten. Frau R. selbst schneidert hier auch heute noch. Für sie steht die Zeit still. Sie sieht heute genauso gut aus wie 1987.
In unserem ersten Stock auf der anderen Seite des Hofes lebte der Musiker. Seinen Namen kenne ich nicht, wir nannten ihn alle nur „der Musiker“ er spielte Saxophon und arbeitete ebenfalls in einem Theater, im Orchester.
Der Rest des Hauses war gemietet von alten Damen ebenso wie von mittelständischen Familien, Familien mit Migrationshintergrund sowie Singles. Wir waren eine bunte Mischung. Wir kannten uns und sorgten auch füreinander. Wir nahmen den Papagei einer Nachbarin auf, wenn diese auf Urlaub fuhr, wir luden die netten betagten Nachbarinnen zu Weihnachten ein, als sie niemanden mehr hatten. Wir borgten uns Eier wenn die Geschäfte schon zu hatten.
Und die Kinder spielten allesamt im Hof und es war schön. Manchmal kamen auch die Erwachsenen runter in den Hof, aßen eine Jause oder unterhielten sich mit uns Kindern.
Einmal, es mag um 1990 herum gewesen sein, spielte ich mit meinen zwei besten Nachbarsfreunden, dem Hausmeisterjungen und Sonay, einer junge Türkin, die die wildesten Ideen hatte im Hof. Wir gruben gerade einen toten Vogel ein, den Schnurli, der Kater der Druckerei am Gewissen hatte. Als wir so gruben, stießen wir auf einen blauen Edelstein. Er war groß und dreckig. Wir waren vollkommen aus dem Häuschen und liefen von einer Wohnung zur anderen, um ihn allen zu zeigen. Ein Nachbar meinte auch, dass er mal gelesen hatte, dass sich in unserem Haus vor vielen vielen Jahren mal ein Wirtshaus für Seemannsleute, die auf der Donau unterwegs gewesen waren, befunden hatte. Für uns der eindeutige Beweis, einen uralten Schatz gefunden zu haben.
Sonay wollte ihn für uns aufbewahren. Ich frage mich, ob sie ihn heute noch hat und ihren Kindern die Geschichte erzählt hat.
© Mardy_bum 2020-06-20